VALIE EXPORT – Retrospektive im C/O Berlin – von Nicole Guether

Die österreichische Künstlerin Valie EXPORT (*1940 in Linz, Österreich) sagte einmal, dass Kunst für die Frauenbewegung von Bedeutung sein kann, indem „wir aus der Kunst neue Bedeutungen schlagen“ – ja, schlagen. Symbolisch um sich geschlagen hat die Grand Dame der feministischen Kunst tatsächlich. Denn für EXPORT ist Kunst politische Haltung und Handlung. Unvergessen wie sie ihren eigenen Körper in ihren performativen Aktionen einsetzte, um gesellschaftliche Verhältnisse zu enttarnen. Verhältnisse, die die Frauen unmündig hielten, einzwängten in ein Korsett der Maßregelungen.

Das C/O Berlin hat die Ausstellung des Wiener Albertina aus dem Vorjahr übernommen und „würdigt das vielschichtige Schaffen […] einer der international einflussreichsten Medien- und Performancekünstler:innen des 20. Jahrhunderts“. Wie schon in der Albertina liegt der Schwerpunkt auf der Relevanz der Fotografie im Werk EXPORTs, damit will die Ausstellung „neue Einblicke“ auf das Werk bieten. Ob diese Überlegungen aufgehen, lesen Sie hier.

BODY SIGN B, 1970, ALBERTINA, Wien © VALIE EXPORT, VG Bild-Kunst, Bonn 2023; Foto: Gertraud Wolfschwenger © VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Eine Amazone im Patriarchat

Den Einstieg in die Ausstellung bietet der überlebensgroße Abzug einer der ikonischsten Aufnahmen von Valie EXPORT sowie die im Block angeordneten Fotografien zu einer ihrer radikalsten Aktionen, die Aktionshose: Genitalpanik (1969). Wobei diese fotografische Ikone erst nach und nicht im Zuge der Aktion von 1968 entstanden war. Das lärmende Kläffen von Hunden einer Installation aus dem Inneren dringt zu uns, bevor wir die Ausstellung ganz betreten haben. Das wird leider die Besucher:innen im gesamten ersten Teil der Ausstellung begleiten.

EXPORTs künstlerische Praxis zwischen Film, Performance/ Aktion und Fotografie nahm seit 1966 mutig, radikal und theoriefundiert die Nachkriegsgesellschaft ins Visier. Während Marina Abramovic ab Anfang der 1970er die Leidensfähigkeit ihres Körpers ins Zentrum ihrer Performances stellte, und ab Mitte der 1970er Jahre Cindy Shermans fotografische Selbstporträts konzeptuell Fragen zu Identitäts- und Rollenbilder nachgingen, kombinierte Valie EXPORT gewissermaßen beide Haltungen. Wie EXPORT ihren eigenen Körper bloßstellte, um wiederum den heute viel besprochenen male gaze bloßzustellen, hat auch heute nichts an Schärfe verloren.

Aktionshose: Genitalpanik, 1969, Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac © VALIE EXPORT, VG Bild-Kunst, Bonn 2023; Foto: Peter Hassmann, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Foto, Aktion, Körper

Der Ausstellung geht es aber gar nicht wirklich um diese revolutionäre Haltung und radikale Praxis EXPORTs. Sie führt chronologisch durch die Jahre 1966 bis 2009 und folgt der These, „von Anbeginn konzipierte sie [EXPORT] Aktionen in ursächlicher Abhängigkeit von der Fotografie und inszenierte ephemere Performances für das statische Bild“. Damit wird gewichtiger gemacht, was auch schon um 1970 logisch war: Das fotografische Festhalten einer zwangsläufig vergänglichen Kunstpraxis. EXPORT war eben auch Ende der 1960er klar, dass sie mit ihrer Kunst, die für sie politische Handlung war, weiterwirken kann, wenn sie sie medial verbreitet.

Und so werden die meisten ihrer Expanded-Cinema-Aktionen und symbolischen Performances anhand dokumentarischer Fotografien vor Augen geführt, nicht als filmische Dokumentation. Gegen Ende des, weil in einem Raumbereich gefassten, ersten Teils der Ausstellung finden sich dann aber immer mehr Fotografien, die als Experimente und Inszenierungen eigenständigen Werkcharakter haben. Für solche Arbeiten mag Valie EXPORT weniger bekannt sein, aber rechtfertigt das schon den Schwerpunkt der Retrospektive auf die Fotografie?

Kontextualisierung unerwünscht

Auffallend wenig, oder eigentlich gar nicht wird zeithistorisch kontextualisiert. Vielleicht weil die Situation der Frauen in Österreich ziemlich vergleichbar war mit der in der Bundesrepublik – aber kann man davon ausgehen, dass die Besucher:innen das so genau wissen? Anhand mancher Gesprächsfetzen hatte ich nicht den Eindruck.

Im Ausstellungstext heißt es plakativ, dass EXPORTs „Analyse technischer Abbildungsprozesse […] offen[legt], wie Massenmedien geschlechtsspezifische Identitätsbilder konstruieren und festschreiben“. Genau genommen erschufen vor fünfzig Jahren wohl doch eher die gesellschaftlichen Normen die Bilder, die wiederum durch Massenmedien verbreitet wurden und so ziemlich bis heute präsent blieben.

Die per Gesetz festgeschriebene Unterwürfigkeit der Frau, die bis in die 1970er Jahre hinein fast wie in antiken Zeiten (!) vom Besitz des Vaters in den Besitz des Ehemanns „überging“, war der Ausgangspunkt von EXPORTs Arbeiten. Das macht sie noch heute so relevant. In Österreich stammte das Familienrecht zu Zeiten EXPORTs aus dem Jahre 1822! Das weiß man leider nicht, wenn man aus der Ausstellung kommt. Eine Aktion wie „Aus der Mappe der Hundigkeit“ von 1968 ist doch aber vor diesem Hintergrund relevanter als vor dem des Mediengebrauchs. Die Umkehrung der Geschlechterverhältnisse hat EXPORT filmisch, performativ und fotografisch betrieben wie kaum jemand Anderes.

Aus der Mappe der Hundigkeit, 1968, Gemeinsam mit Peter Weibel, Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac © VALIE EXPORT, VG Bild-Kunst, Bonn 2023; Foto: Joseph Tandl

Wer ist Valie EXPORT?

Valie EXPORT beginnt mit der Erfindung des Namens. Alles davor bleibt ziemlich nebulös, denn wenig ist bekannt aus den 27 Jahren, die sie unter ihrem bürgerlichen Namen verbracht hat. Eine Ausbildung ab Mitte der 1950er, eine erste Ehe. Was aber bewegte EXPORT dazu den Namen des Vaters und den des ersten Ehemanns abzulegen und sich so konsequent den patriarchalen Geschlechterrollen zu widmen? Man kann sagen, dass es um das künstlerische Schaffen, nicht jedoch um die private Person geht. Aber lässt sich das bei einer Künstlerin, die seit mehr als einem halben Jahrhundert unter einem markengeschützten Namen firmiert, überhaupt trennen? Das Private ist politisch, war die Devise der 68er. Der Befreiungsschlag mit dem Ablegen des Namens und der freien Wahl des eigenen Namens mag geradezu an Napoleons Selbstkrönung 1804 erinnern. Er ist sicher der deutlichste Stinkefinger gegen die Nachkriegsgesellschaft – und die anhaltendste Performance.

VALIE EXPORT – SMART EXPORT, Selbstportrait, 1970, ALBERTINA, Wien © VALIE EXPORT, VG Bild-Kunst, Bonn 2023; Foto: Gertraud Wolfschwenger © VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Wer Valie EXPORT noch nicht kannte, wird aus der Ausstellung kommen und die wichtigsten Arbeiten gesehen haben. Allerdings bleibt die frühe Phase im vorderen Bereich des ersten Teils im Gedächtnis, denn ab der Hälfte der Schau ist man durch das Dauergekläffe der Hunde so übersättigt, dass man schlicht nicht mehr aufnahmefähig ist, um die dichten Objekttexte zu lesen. Zumindest ging es mir so, wobei ich mich in den Räumen größtenteils auffällig allein aufhielt.

Widersprüche und neue Perspektiven

EXPORT wird immer singulär in der Kunstlandschaft Österreichs der betreffenden Ära dargestellt – wahrscheinlich, weil sie wirklich einer von ganz wenigen Frauen in der Szene war. Aber EXPORT wird auch selten im Zusammenhang mit anderen Performancekünstlerinnen der Zeit betrachtet. Das wäre eine lohnende Auseinandersetzung, eben weil sie bisher weitgehend fehlt. In welchem Dialog befand sich EXPORT und welchen Einfluss hatten die Arbeiten anderer Künstlerinnen auf ihr Werk? Das wäre eine neue Perspektive auf das Werk EXPORTs.

Auffallend oft waren die Kollaborateure ihrer Aktionen Männer. Bis auf Gertraud Wolfschwenger, die das ikonische Foto für „Body Sign A“ (1968) geschossen hatte, haben ausschließlich männliche Kollegen ihre Aktionen (fotografisch) begleitet, so z.B. Joseph Tandl für „Aus der Mappe der Hundigkeit“, Hermann Hendrick für „Kausalagie“, Alfred Damm und Ludwig Hoffenreich für „ASEMIE“. Die darin möglicherweise steckenden Widersprüche herauszustellen und zu hinterfragen wären für mich der spannendere Zugang gewesen als die Relevanz der Fotografie in dem Werk der Medienkünstlerin EXPORT zu betonen.

“Egal was ich gemacht habe, es wurde nicht beachtet, habe ich nicht existiert, oder aber mit Angriffen“. Das Zitat aus einem Interview mit EXPORT steht immer noch hinter zu vielen Künstlerinnenbiografie – hinter zu vielen Karrieren von Frauen. EXPORT hat vor einiger Zeit gesagt, sie könne erst seit dem Jahr 2000 von ihrer Arbeit leben. Das hätte ebenfalls ein interessanter Ausgangspunkt zum Erfassen des Werks einer im ephemeren Bereich wirkenden Künstlerin werden können. Ebenfalls die Wut, die lange die Motivation hinter ihren Arbeiten war. Warum nicht mal die berechtigte Wut in einer Ausstellung thematisieren?

Fazit

Die anstrengende Geräuschkulisse stahl mir bedauernswerterweise nach etwa mehr als einer Stunde die Aufmerksamkeit, bis ich tatsächlich aus dem beschallten Raum geflüchtet bin. Und auch, wenn man sich wirklich ob der Geräuschkulisse nicht länger als nötig in der ersten Teilausstellung aufhalten will, ist das Fehlen jeglicher Sitzgelegenheiten ärgerlich, zumal mir auch die drei Monitore, die Performances zeigen, zu niedrig aufgestellt waren.

Der Übergang zum räumlich getrennten zweiten Teil, der in das Jahr 2009 führt, ist unglücklich kommuniziert. Der Weg führt zunächst eher die Treppe hoch, wo plötzlich eine Videoarbeit von Valie EXPORT aufwartet, denn geradeaus weiter. Nimmt man allerdings die Treppe, dann befindet man sich auch bald in den anderen, derzeit präsentierten Ausstellungen (die Triggerwarnungen bedurft hätten!). Ich bin anschließend eher zufällig in den zweiten Teil der EXPORT-Ausstellung geraten.

Retrospektiven wollen einen Gesamtüberblick auf ein künstlerisches Schaffen bieten, also meist kein konkretes Thema bedienen. Das Konzept der Albertina Wien, das vom C/O Berlin adaptiert wurde, hat jedoch den Fokus auf die Fotografie gelegt, was bei einer Medienkünstlerin nicht den versprochenen neuen Blick auf das Lebenswerk schafft. Kontextualisierung und Fragen an das Werk wären erhellender gewesen. Mehr und mehr bin ich aber auch der Meinung, dass nicht alles ausstellungswürdig ist, was von Künstler:innen kommt. Ja, ich bin so frei, das zuzugeben. Denn nicht jeder Versuch oder jedes Experiment ist ein halbes Jahrhundert später noch relevant, nur weil das Gesamtwerk von immenser Bedeutung ist.

„VALIE EXPORT – Retrospektive“ im C/O Berlin, 27. Januar bis 21. Mai 2024

Kuratierung: Walter Moser (Albertina, Wien) und Boaz Levin (C/O Berlin Foundation)

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