„Tod und Teufel. Faszination des Horrors“ im Kunstpalast Düsseldorf – von Nicole Guether

Wenn wir uns erschrecken, schlagen unsere Herzen schneller und gefriert uns das Blut in den Adern. Ob Grimms Märchen („Rucke die Ruh‘, Blut ist im Schuh!“) oder Mary Shelley’s Frankenstein – die Initialzündung des modernen Horrorgenres schlechthin, als vom Mann geschaffenes Ungeheuer (kein Wunder, dass es von einer Frau aus der Taufe gehoben wurde): Wir setzten uns dem Horror gern freiwillig aus. Der Schrecken, das Grauen, sie gehören zum Menschsein. Wir sind schon seltsame Geschöpfe.
Der Tod ist der eine Gleichmacher, ihm entgeht keiner. Wahrscheinlich sind wir deshalb so fasziniert davon. Obwohl er in der westlichen Kultur tabuisiert wird, wurde die Kunst- und Kulturgeschichte entscheidend geprägt von Tod und Teufel.

Foto: Nicole Guether, 2023

500 Jahre Horror in der Kunst Keine Ausstellung wie jede andere

Ein junger Mann lässt sich seinen Körper vom Scheitel bis zur Sohle komplett mit dem Motiv einer verwesenden Leiche tätowieren. Emblematisch dient der „Zombie Boy“ Kuratorin Westrey Page in ihrer ersten für den Kunstpalast Düsseldorf kuratierten Ausstellung. Diese öffnet in elf Räumen kaleidoskopartig den Blick auf unsere Obsession mit dem Schrecklichen und folgt der These, dass ausgerechnet der heute so vehement verdrängte Tod doch eigentlich immer anwesend sei. In einer Jahrhunderte währenden Entwicklungsgeschichte hätten gerade Bilder des Horrors unsere heutige Ästhetik des Andersseins geprägt und würden inzwischen gar nicht mehr allein dem Schrecken dienen, sondern „dazu die Einzelnen zu stärken oder um traditionelle Wert- und Machtsysteme zu kritisieren.“

Foto: Nicole Guether, 2023

Nicht die Angst als irrationale Emotion ist Thema, nicht einmal das Warum, sondern das Wie und die Facetten unserer morbiden Faszination. Die Ausstellung ist keine Geisterbahn durch die Kulturgeschichte, sie will nicht Ekel und Schock bewirken. Vielmehr wird anhand von 120 Bildern und Objekten, Fotografien, Kleidungsstücken, morbiden Devotionalien, aufwendigen Installationen sowie in der Analyse von Musikvideos und dem Nachspüren des Horrors im Film „das Erbe und die Fortführung künstlerischer Strategien des Grauens“ gezeigt – und die Verschiebung hin zum politischen Mahner.

Im Bann des Horrors

Der für die Ausstellung nutzbar gemachte Begriff des „Horrors“ firmiert als Oberbegriff, unter ihm wird subsumiert, was ›schrecklich‹ ist. Angefangen beim Teufel als Synonym für die Verdammnis des Jenseits, hin zu mehr und mehr populärkulturellen Deutungen, die nunmehr mit einer Jahrhunderte alten Ästhetik verfahren. Auch der Teufel wurde profanisiert.
Die Ausstellung führt chronologisch entlang der Entwicklungslinie von der frühen Neuzeit ausgehend bis in die Gegenwart. Zunächst werden wir in einem Prolog mit der christlichen Totenkultur bzw. Sühnekultur konfrontiert, aus der heraus Bilder geschaffen wurden, deren grauenvolle Erscheinungen, so z.B. bei Hieronymus Bosch sowohl Warnung als auch Abbild einer von konfessionellen Kriegen, Seuchen, Hexenverfolgung und standesbedingten Ungerechtigkeiten gezeichneten Zeit waren. Diesen Schreckensbildern wird schon im Eingang das Gegenbild der Moderne entgegengestellt, in der der Teufel als schöner Adonis erscheint. Wie kam es zu diesem Wandel und welchen geistesgeschichtlichen mag ihn bedingt haben?

Vom hässlichen Monstrum zum schönen Adonis

Die fantastischen Dämonen der Renaissance wichen in dem Maße den idealisierten, menschengleichen Wesen, in dem um 1800 mit der Aufklärung auch die Säkularisierung ihren Eroberungszug antrat. Gewissermaßen als Hauptexponat des Prologs fungiert der mittig im Raum stehende Sarg von 1766, der stellvertretend für eine neue westeuropäische, derweil reformierte Begräbniskultur steht. Bemalt mit Vanitas-Symbolen deutet er an, was künftig mehr Schrecken einjagen wird: Der ganz irdische Verfall. Für den heutigen Betrachter ist der Anblick eines Sarges denn auch weitaus gegenwärtigere Todesmahnung als jeder Skelettsensenmann, der dank alljährlichem Halloween-Deko-Wahn seinen Schrecken eingebüßt hat.

Sarg der Ernestina F. von Stockhausen, 1766 (Foto: Nicole Guether, 2023)

Mit der veränderten Darstellung des Satans vollzog sich auch ein moralischer Wandel, der dem Tod als Gestalt noch mehr Schrecken nahm. Denn selbst der Freitod verlor seinen Sündencharakter, insofern er moralisch gerechtfertigt war – z. B. wenn es um die Wahrung der holden Jungfräulichkeit ging. Die so lang gefürchtete Verdammnis verlor ihren Spuk. Der Tod wurde alsbald literarisch romantisiert und idealisiert (Goethes Werther!).

Totenmaske, Frankreich, um 1900 (Foto: Nicole Guether, 2023)

Wenn auch selbst in der Ausstellung nicht explizit thematisiert, sei noch bemerkt, dass der Tod im klassizistischen Totenkult als Schlaf dargestellt wurde, wofür die ausgestellte Totenmaske (um 1900) herangezogen werden kann, deren Lieblichkeit den Tod nicht mal mehr erahnen lässt.
Mit dem Verschwinden der christlich-religiösen Weltsicht und der Furcht vor der Verdammnis, trat zugleich ein neuer Teufel hervor, der Mensch selbst.

Der Horror im Detail

Hieran schließt sich der zweite Teil der Schau an, deren zeitgenössische Produktionen den Hauptteil der Ausstellung ausmachen. Sie enthalten die mit Abstand stärksten Arbeiten zum Thema Horror, die die Ausstellung aufbietet.
Beginnen lässt ihn die Kuratorin mit Silhouetten der Haute Couture u.a. von Comme des Garcons Designerin Rei Kawakubo in Vitrinen mit gleißendem Licht, die ihre Bezüge zum viktorianischen Gothic nicht verschweigen. Auffallend ist, dass die meisten Designs Krisenjahren entstammen, aber Mode ist eben auch immer zeitgeschichtliche Reaktion. Diese „Ästhetik des Grauens“ mit ihrem morbiden Friedhofcharme und Hang zur düsteren Melancholie stellt ein klassisches Schönheitsideal infrage, das Mainstream propagiert und damit alle ausschließt, die sich diesem nicht unterordnen wollen (oder können). Hier setzt nun an, was von der Kuratorin als alternative Ästhetik ausgemacht wird, die als eine Art selbstbewusste Selbstermächtigung des Anderen artikuliert wird. Insofern ist die monumentale Aufnahme des „Zombie Boy“ von 2011 passend gewählt.

Insgesamt müssen überhaupt der enorme Aufwand und die Bereitschaft die Ausstellungsräume bis unter die hohen Decken in passendem Tiefschwarz und dunklem Grau zu streichen, hervorgehoben werden. Mit gelungenen Mitteln wird so eine dem Thema angemessene düstere Raumwirkung erzeugt. Dass die ersten Räume regelrecht Trauerflor tragen, zeugt von besonderem Ideenreichtum. Liebe fürs Detail zeigt sich auch darin, dass vom belgischen Illustrator Christoph Szpajdel eigens ein Logo designt wurde, mit dem der Ausstellung und ihrem Merchandise eine Corporate Identity verpasst wird.

Popkulturelle Appropriation in Film und Musik

Von subkulturellen Erscheinungen, Mode und Merchandise inspirierte Werke leiten über in die Ästhetik des Horrors in Film und Musikvideos. Eingeleitet mit Filmsequenzen der Horrorklassiker Nosferatu (1922) und Das Kabinett des Dr. Caligari (1920) im blutrot gestrichenen Zwischenraum wird erst ein paar Räume weiter auf die Horrorstreifen heutigen Datums anhand ihrer Plakate verwiesen. Dabei schwingt subtil mit, wie sehr immer noch Sexualität und Wahnsinn, als faszinierende, aber lange Zeit unverstandene menschliche Zustände, die Gemüter und Phantasien anregen.

Die kleine Sektion, in der auf drei großen Displays in Schleife Musikvideos vorgeführt werden, führt vor, wie deren Ästhetik auf Motive des Horrors aufbauen. Sie dient dazu, Gewalt, und hier explizit auch politische, so z. B. das russische Elektro-Duo IC3PEAK, anzuprangern. Ganz unabhängig von musikalischem Genre wird Dämonisches mal spielerisch, mal abgründig eingesetzt.
Der Abschluss wird, wie schon der Beginn, von einer wohl sondierten Auswahl an Kunstwerken der letzten zwei Jahrzehnte bestritten. Die Kunstproduktionen zeitgenössischer Künstler:innen machen deutlich, dass im 20./ 21. Jahrhundert realer Horror, sozusagen von Menschenhand Gemachter, vorherrschend ist. So ist die US-Amerikanerin King Cobra (vormals Doreen Garner) mit einer Arbeit vertreten, deren kunstvoll aus Silikon gestalteten, drastisch-realistischen Körperteilwerke an die im 19. Jahrhundert begangenen brutalen medizinischen Experimente an versklavten, schwarzen Frauen erinnern.

King Cobra, Red Rack of Those Ravaged and Unconsenting, 2018 (Foto: Nicole Guether, 2023)

Der Horror von Heute ist real und menschlich

Mit Arbeiten des amerikanischen Künstlers Max Hooper Schneider zu apokalyptischen Ökosystemen, oder Kris Martins „Somebody“-Schriftzug aus menschlicher Asche sind subtile Auseinandersetzungen gezeigt. Eine lakonische, brutal-direkte Beschäftigung bieten hingegen die Plastik eines noch im Tode Erigierenden von Gregor Schneider, die aus Haushaltsgegenständen geschaffene Selbsttötungsmaschine von Via Lewandowsky oder die Fotografien von zumeist gewaltsam Verstorbenen bei Andreas Serrano, zudem eine hervorragend gewählte Zusammenstellung. Damit führt Kuratorin Page mehr noch als allein den Tod vor Augen, der mit ihren Worten „nie so weit weg vom Alltag entfernt [war]“, trotz der massenhaft zugänglichen Bilder und Videos von täglicher Gewalt. Vielmehr kommt dies einem Kommentar auf die menschliche Natur gleich.
Auch die fotografische Reihe des britischen Künstlers Mat Collishaw, der die letzten Mahlzeiten von zum Tod Verurteilten in US-amerikanischen Hochsicherheitsgefängnissen in altmeisterlicher Stillebenmanier ablichtet, sind bewegend wie erschreckend. Vanitas bekommt hier eine fast postmoderne Bedeutung. Die installative Arbeit von Teresa Margolles, eine Nachbildung des gekachelten Bodens, der zum Mordschauplatz eines Freundes wurde, ist eine Auseinandersetzung mit der sehr diesseitigen Gewalt in Mexiko. „Der wahre Horror ist keine Fiktion“, wissen die Ausstellungsmacher:innen um Kuratorin Page.
Und so schließt die Ausstellung mit der eigens hierfür geschaffenen Installation von Stefan Vogel im letzten Raum. Seine Raum-Sound-Installation verweist auf den alltäglichen Horror der eigenen vier Wände. Die Warnung vor dem Betreten des Raumes auf eigene Gefahr, mehr Ironie als Triggerwarnung, ist denn auch vergeblich, der Ausgang erfolgt unvermeidbar hierdurch. Horror ist unabwendbar.

Installation Stefan Vogels (Foto: Nicole Guether, 2023)

Fazit

Heute feiert sich das Anderssein als subversiv, individuell und verkehrt einstige Ausgrenzung in aktive Selbstbehauptung. Die Spurensuche des Horrors in der modernen Popmusik zählt m.E. mit zum Gelungensten, was die Ausstellung zu bieten hat, wenn sie im Gesamten auch nur einen kleinen Teil ausmacht. Denn sie bieten überraschende Beispiele. So auch die Zusammentragung der zeitgenössischen Werke mit ihren diversen Auseinandersetzungen zur Ästhetisierung des Bösen, der eben auch politischer Widerstand und Aufklärung sein kann.
Eine faszinierende Ausstellung zu einem faszinierenden Thema, bei dem es verwundert, dass es bislang noch keine größere museale Auseinandersetzung mit ihm gab. Die Exponate sind hervorragend gewählt, die Präsentation durchgängig effektvoll.
Weitere Stationen werden von Februar bis Mai 2024 das Hessische Landesmuseum Darmstadt sowie von Juni bis September 2024 das Museum Georg Schäfer sein. Wer seinen Weg also bis dahin nicht nach Düsseldorf findet, kann getrost sein. Der Horror macht keinen Halt und zieht, Gott sei Dank, weiter!

„Tod und Teufel. Faszination des Horrors“
14.9.2023 – 21.1.2024
Kunstpalast, Düsseldorf
Kuratorin: Westrey Page, Kunstpalast

Ein Gedanke zu “„Tod und Teufel. Faszination des Horrors“ im Kunstpalast Düsseldorf – von Nicole Guether

  1. Pingback: Tod und Teufel. Faszination des Horror im Kunstpalast Düsselforg – nicoleguether

Hinterlasse einen Kommentar