Ausstellungen ausstellen im Deutschen Historischen Museum. Anmerkungen zum Katalog „Gewalt ausstellen“ – von Bernd Holtwick

Es gibt viele Bücher, die sich mit dem Schreiben beschäftigten. Einige Filme reflektieren das Filmemachen. Ein Fotograf, der sich selbst mit der Kamera fotografiert, ist keine echte Überraschung. Die Selbstreferenzialität von und in Ausstellungen dagegen ist eher selten. Das Deutsche Historische Museum (DHM) beschreitet also mit seiner Sonderausstellung und dem dazu erschienenen Katalog1 wenig ausgetretene Pfade. Es kooperiert mit dem neu gegründeten Dokumentationszentrum „Zweiter Weltkrieg und deutsche Besatzung in Europa“ (ZWBE), um zu zeigen, wie Ausstellungen in den ersten Nachkriegsjahren die deutschen Verbrechen darstellten (rezensiert von Nicole Guether und Julia Roos).

Der Reiz selbstreferenzieller Darstellungen liegt meistens darin, dass die Schöpferinnen und Schöpfer ihr Thema extrem gut kennen, es besonders reflektiert behandeln und dadurch außergewöhnliche Einsichten ermöglichen. Diesem Potenzial steht ein Risiko gegenüber: Selbstreferenzialität ist im schlimmsten Fall nur für einige wenige Fachleute relevant und interessant.

An wen wenden sich nun das DHM und das ZWBE und wie begründen sie die Relevanz des gewählten Themas? Der Katalog benennt nicht, wen man ansprechen möchte, vermutlich eher ein Fachpublikum. Es finden sich allerdings verschiedene Hinweise, worin die beteiligten Institutionen die Relevanz des Themas sehen. DHM-Präsident Raphael Gross benennt in seinem Vorwort das Interesse daran, „wie sich die frühen Narrative und Darstellungsweisen auf unsere Auseinandersetzung mit den Verbrechen [des Nationalsozialismus] bis heute ausgewirkt haben“. 2

In einem auf der Ausstellungsseite des DHM eingebundenen Video führt er weitere Aspekte an. Man wolle den gemeinsamen europäischen Hintergrund der Erinnerung an die NS-Verbrechen ausleuchten (wobei unklar bleibt, warum dafür (nur) die Ausstellungen der unmittelbaren Nachkriegszeit gewählt werden).

Nicht zuletzt sei das als Beitrag zur Diskussion zu verstehen, wie man Gewalt ausstellen könne. Das erklärt auch die Wahl des Ausstellungstitels – eben „Gewalt ausstellen“. Allerdings findet sich im Katalog kein Beitrag über das Ausstellen von Gewalt, über Möglichkeiten, Chancen und Grenzen oder auch nur dessen historische Entwicklung. Die Frage, wie man Gewalt ausstellen kann oder soll, wird nicht einmal gestellt. Das ist schon angesichts der vom Titel geweckten Erwartungen bedauerlich. Das Thema erscheint auch für Museen in der Auseinandersetzung mit den Verbrechen im Nationalsozialismus sowie auch weit darüber hinaus lohnend und wichtig.3

Der Katalog enthält nur jeweils drei Kapitel zu den sechs vorgestellten Nachkriegs-Ausstellungen, wobei eines davon der Dokumentation vorbehalten ist. Die beiden anderen beschreiben die Inhalte der jeweiligen Ausstellungen (beziehungsweise zentrale inhaltliche Aspekte) und ordnen sie in größere Zusammenhänge ein. Die Einleitung der Kuratorin Agata Pietrasik bleibt eher allgemein und verzichtet etwa darauf, die Nachkriegs-Ausstellungen in ihrer historischen Kontinuität zu analysieren. So war das Medium beispielsweise von den Nationalsozialisten propagandistisch intensiv genutzt worden,4 was möglicherweise in der unmittelbaren Nachkriegszeit noch gut bekannt war und einen Bezugspunkt dargestellt hat. Auch wäre ein Überblick über Ausstellungen zu nationalsozialistischen Verbrechen in den 1950er und 1960er Jahren sicher aufschlussreich. Die Linie etwa bis zur Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ zu ziehen läge nahe.

Verschiedene Fragen hätten sich aufgedrängt: Welche Wirkungen erwarteten oder erhofften sich die Verantwortlichen von den Ausstellungen? Ging es um die Darstellung von Fakten oder um emotionale Reaktionen? War das Ziel die Überzeugung derjenigen, die am verbrecherischen Charakter der NS-Herrschaft zweifelten? Oder ging es darum, das Gemeinschaftsgefühl derjenigen zu stärken, die unter der brutalen Besatzungsmacht gelitten hatten? Warum griff man überhaupt zum Medium der Ausstellung, wenn man doch auf andere Weise viel mehr Menschen erreichen konnte?

Einige Fotos aus den historischen Ausstellungen lassen vermuten, dass die Verantwortlichen nicht nur Informationen vermitteln wollten, sondern dass sie auch – vielleicht sogar ganz besonders – den Akt des Besuchens, die Begegnung der Menschen in den Ausstellungsräumen im Blick hatten. Hier kamen Mittel zum Einsatz, die eine eingehendere Untersuchung gelohnt hätten. Die Londoner Schau „The Horror Camps“ zeigte großformatige Fotos von Ermordeten und Leichenbergen. Die Ausstellung „Crimes hitlériens“ in Paris setzte auf Inszenierungen, die nicht rekonstruieren, sondern emotionalisieren sollten.5 Die Warschauer Ausstellung „Warszawa oskaria“ arbeitete mit einigen expressiven Objektarrangements.6 Lassen sich Gründe für diese Entscheidungen erkennen? Was wurde bezeckt? Und wie reagierte das Publikums darauf? Wie verhielt sich die breitere Öffentlichkeit? Die knapp dargestellten Befunde der Publikumsbefragungen in London und die Rezensionen zur Pariser Ausstellung lassen erahnen, das hier noch einiges Potenzial für weiterreichende Erkenntnisse liegt.7 Warum wurden manche gestalterischen bzw. szenographischen Ansätze in späteren Ausstellungen aufgegriffen und weiterentwickelt, andere nicht? Bemerkenswerterweise rief die zum Teil heftige Emotionalisierung Reaktionen hervorrief, die schwer vorhersagbar und nur bedingt lenkbar waren – von Rachegelüsten bis hin zur Ungläubigkeit oder zur Weigerung hinzuschauen. Es wäre interessant, ob spätere Ausstellungen daraus Schlussfolgerungen zogen.

Das von DHM und ZWBE gewählte Thema bietet die Chance, über das Ausstellen von Gewalt zu reflektieren und zu diskutieren – nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund von Gewaltdarstellungen an anderen Orten und in anderen Medien. Ja, das Thema hätte es sogar erlaubt, eine breitere Diskussion über das Ausstellen und seinen Nutzen anzustoßen – und nicht zuletzt das DHM und dessen eigene Ausstellungspraxis mit einzubeziehen. So aber muss man schon erhebliches Interesse und umfangreiche Vorkenntnisse mitbringen, um sich die Bedeutung der Ausstellung über Austellungen zu erschließen.

  1. Raphael Gross u. Agata Pietrasik (Hg.), Gewalt ausstellen: Erste Ausstellungen zur NS-Besatzung in Europa, 1945-1948, Berlin 2025. ↩︎
  2. Raphael Gross, Vorwort, in: Gross u. Pietrasik (Hg.), Gewalt ausstellen, S. 5. ↩︎
  3. Vgl. Jana Hawig: Exhibiting Images of War. The Use of Historic Media in the Bundeswehr Military Museum (Dresden) and the Imperial War Museum North Manchester., in: J. Echternkamp, S. Jaeger (Hg.): Views of Violence. Representing the Second World War in German and European Museums and Memorials, Berghahn Books, New York, 2019, S. 75-91. ↩︎
  4. Rosemarie Burgstaller, Inszenierung des Hasses. Feindbild-Ausstellungen im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2022; Hans-Ulrich Thamer, Geschichte und Propaganda. Kulturhistorische Ausstellungen in der NS-Zeit, in: Geschichte und Gesellschaft 24 (1998), S. 349-381. ↩︎
  5. Vgl. Rachel E. Perry, Die Rückkehr des Realen: Die Dioramen in der Ausstellung ‚Crimes hitlériens“, in: Gross u. Pietrasik (Hg.), Gewalt ausstellen, S. 69-78. ↩︎
  6. Piotr Slodkowski, „Vor dem Tribiunal der Nationen“: Die Ausstellung ‚Warszawa oskaria“ und die polnische Kulturpolitik, S. 116. ↩︎
  7. Zeitgenössische Befragungen werden für die Londoner Ausstellung angeführt (Janina Struck, „Sehen heißt glauben“: Fotos der deutschen Gräueltaten in britischen Ausstellungen, in: Gross und Pietrasik Hg.), Gewalt ausstellen, S. 29-33. Auf einige Rezensionen verweist Perry, Rückkehr, S. 72-77. ↩︎

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