„Gewalt ausstellen: Erste Ausstellungen zur NS-Besatzung in Europa, 1945-48“ im DMH Berlin – von Nicole Guether

Noch bevor die Waffen ganz verstummt waren, setzten sich Einzelpersonen und Institutionen in Ausstellungen mit der NS-Besatzung und den vielfältigen Gewalttaten auseinander. Sie gaben erstmalig vor, wie die beispiellosen Gewaltverbrechen darzustellen und einem breiten Publikum vermittelt werden konnten. So wurden “Räume der Information, des Gedenkens, der Trauer und der Anklage“ für hunderttausende Besucher:innen geschaffen.

Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeichnet sechs historische Ausstellungen nach, die zwischen Mai 1945 und April 1948 in London, Paris, Warschau, Liberec und Bergen-Belsen entstanden waren. Dabei kommen Unterschiede zum Ausdruck, die nachhaltig die nationalen Erinnerungskulturen prägten.

Ausstellungsansicht, Foto: Nicole Guether 2025

„Europäisches Phänomen“ in West und Ost: Ausstellungen am Ende des Krieges und in der frühen Nachkriegszeit

Zunächst scheint überhaupt erstaunlich, dass in der politisch ungewissen Zeit der letzten Kriegstage bzw. der frühen Nachkriegszeit, inmitten einer kaum vorstellbaren sozialen Not, bei oft anhaltender Gewalt, bereits Ausstellungen entstehen, geschweige denn besucht wurden. Doch die Monstrosität von fast sechs Jahren deutscher Gewaltherrschaft drängte zu einer breiten Form der Auseinandersetzung in diesen, vom Krieg unterschiedlich gezeichneten Städten Ost- und Westeuropas. Auf diese Weise wurden Ausstellungen zu einem frühen Medium der gesamtgesellschaftlichen Bewältigung von Vernichtung, Gewalt und Verbrechen.

Kuratorin Agata Pietrasik greift als Grundlage für ihre Ausstellung im DHM auf Ergebnisse aus ihrem Forschungsprojekt „How to Rebuilt Europe: Exhibiting War Crimes and the Holocaust in the 1940s“ zurück. Darin untersucht Pietrasik, wie heute gängige Ausstellungsmethoden wie beispielsweise die Nutzung von Schautafeln, damals erst erarbeitet wurden, um die Visualisierung zu ermöglichen. Pietrasik geht ebenfalls nach, wie diese frühen Ausstellungen national unterschiedliche Narrative über die NS-Besatzung formten, die nicht selten durch die eigene (Überlebende-) Perspektive geprägt wurden – und andere Opfergruppen ausschlossen.

Die Ausstellung über Ausstellungen: „Sehen heißt glauben“

Überschrieben ist die Ausstellung gewissermaßen mit dem Thema der ersten, am 1. Mai 1945 in London eröffneten Ausstellung: „Sehen heißt glauben.“ Denn was wir sehen, oder nicht, entscheidet nicht nur darüber, was wir glauben, sondern formt nachhaltig unsere Erinnerungen.

Zitate von Besucher:innen der Ausstellung „Horror Camps“, 1945, Foto: Nicole Guether 2025.

In der Londoner Schau „Horror Camps“ waren Fotografien der AFPU (Army Film and Photographic Unit) gezeigt worden, jener Einheit der britischen Streitkräfte, die die Kämpfe dokumentierten und mit den Soldaten als erste in die befreiten Konzentrationslager Buchenwald, Bergen-Belsen und Mittelbau-Dora gelangt waren. In Crimes hitlériens wurde das verbrecherische NS-System breit dargestellt und das französische Martyrium in den Mittelpunkt gestellt, wobei die Pariser Ausstellung im Grand Palais, wo zuvor die NS-Hakenkreuzflagge gehisst war, auch eine europäische Perspektive einnahm und vom Leid anderer Nationen erzählte.

Die erste von zwei hier präsentierten Warschauer Ausstellungen, „Warszawa oskarza“ (Warschau klagt an), bereits am 3. Mai 1945 in der durch deutsche Truppen fast völlig zerstörten Stadt eröffnet, thematisierte den kulturellen Genozid, die Zerstörung des nationalen Erbe Polens. Die zweite Ausstellung, die vorerst letzte in der Chronologie der historischen Ausstellungen, war im April 1948 im Jüdischen Historischen Institut von Holocaust-Überlebenden eröffnet worden. Sie betrieben eine der ersten Holocaust-Forschungen und stellten in der Ausstellung nicht nur das Verbrechen an den polnischen Juden und Jüdinnen dar, sondern auch den jüdischen Widerstand (der in sowjetischer Zeit bald vom kommunistischen antifaschistische Kampf überlagert werden sollte).

Ausstellungsansichten (Das Foto links zeigt im Vordergrund einen Kilim aus dem Ghetto Lodz, 1942. Dargestellt sind jüdische Zwangsarbeiter:innen, wie sie das geraubte Eigentum der in den Vernichtungslagern Ermordeten sortieren. Der Teppich wird in der Association of the Jewish Historical Institute of Poland verwahrt; Fotos: Nicole Guether 2025).

Die Ausstellungen zur deutschen Besatzung in Liberec, ehemalige Hauptstadt des NS-Reichsgaus Sudetenland, fand ab September 1946 in der Villa Hersch statt und damit an einem Täterort. Die enteignete Villa war seit 1938 Wohnsitz des NS-Gauleiters gewesen und war daher aufs Engste mit der NS-Besatzung verbunden und wurde zur Gedenkstätte umgebaut.

Im Juni 1947 eröffnete im Displaced Persons-Camp auf dem Gebiet des ehemaligen KZ Bergen-Belsen (u.a. Anne Frank und ihre Schwester Margot starben hier wenige Woche vor Kriegsende) die Ausstellung „Undzer veg in der frayheyt“ (jiddisch für: „Unser Weg in die Freiheit“). Sie war ein „Spiegel der Interimssituation der jüdischen DPs“ und wurde von Gruppen aus dem Camp, lokalen jüdischen Gemeinde, historischen Kommissionen und internationalen jüdischen Organisationen ausgerichtet.

Aufbau und Struktur

Metallgerüste unterteilen den Raum auf einem annähernd runden Grundriss, durch den der Weg in Schleifen führt. Dieser Kreisaufbau kann sinnbildlich verstanden werden, vereinen sich darin die Erfahrungen von Millionen, die, unabhängig von Grenzen und in Tausenden Kilometern Entfernung, das Schicksal NS-deutscher Okkupation und Grausamkeiten teilten. Eine große Wandkarte von Europa als Einstieg ruft diese Dimension wach. Dem Ausstellungstext entnehmen wir, dass NS-Deutschland auf dem Höhepunkt seiner Macht etwa 230 Millionen Menschen in heute 30 Ländern in seiner Gewalt hatte.

Fotos: Nicole Guether 2025.

Begonnen wird in der historischen Chronologie mit London, wobei dieser Abschnitt am äußeren Rand des Kreises erscheint. Damit wird signalisiert, dass London unbesetzt geblieben war. Indem darauf bereits die im Juni 1945 in Pariser eröffnete Ausstellung folgt, wird die DHM-Nacherzählung achronologisch. Warschau wird ins räumliche Zentrum gerückt. Seine zwei Ausstellung, obgleich es sich um die zweite und sechste, also letzte, handelte, werden direkt hintereinander präsentiert. Durch diesen Wechsel in der Erzählung erfolgt eine subtlie Gewichtung. Das macht Sinn, war Polen wie kaum eine andere Nation Ziel des Vernichtungskrieg NS-Deutschlands und ist bis heute darüber im einstigen Täterland wenig bekannt.

Die Metallkonstruktionen mit Tafeln für Fotografien und erklärenden Fotomontagen, Landkarten und Informationsgrafiken, ist der modernistischen Ausstellungsarchitektur der Pariser Schau entlehnt. Sie bieten Präsentationsfläche und gewähren Durchblicke auf die anderen Abschnitte, um wieder Verbindungen zu schaffen.

Fotos: Nicole Guether 2025.

Rund 360 Exponate aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Israel, Polen und Tschechien, darunter 80 Originalobjekte der historischen Ausstellungen, neue Schautafeln und Karten, Fotografien, Ton- und Videodokumente etc. geben Einblicke in die Atmosphäre der historischen Ausstellungen und deren Erzählweisen. Dabei wird ebenfalls herausgearbeitet, dass Aufklärung und Propaganda nicht selten Hand in Hand gingen. Die Ausstellungen sollten eben auch das jahrelange Ohnmachtsgefühl aufwiegen, im Falle Frankreichs und Polens den Widerstandskampf ehren und zudem die kommende Nachkriegsordnung vorbereiten.

Nationale und individuelle Erfahrungsperspektiven

Erarbeitet wurden die historischen Ausstellungen von Museumsangestellten, Résistancekämpfer:innen oder Überlebenden des Holocausts, die die eigene Erfahrungsperspektive zur Grundlage nahmen. Daher lag der Fokus jeder Ausstellung auf einem anderen, nationalen Thema. Der Holocaust selbst, obschon stellenweise thematisiert, wie z.B. in der Pariser Schau, war bis auf die jüdische Ausstellung, noch nicht das überragende Moment in der Erinnerung. Das lag keineswegs daran, dass man zu wenig darüber wusste. In der Londoner Ausstellung der AFPU-Fotografien wurde vielmehr die jüdische Identität der Fotografierten bewusst getilgt, denn zu stark war auch in Großbritannien der Antisemitismus jener Jahre.

Die drastischen Fotografien von ausgemergelten KZ-Überlebenden und Leichenbergen, teilweise in extremer Vergrößerung im Lesesaal der Tageszeitung Daily Express gehängt, provozierten starke Reaktionen beim britischen Publikum, das Nachrichten der Vorjahre nicht selten angezweifelt hatte. Einen Eindruck davon erhalten wir durch Tonaufnahmen mit Selbstzeugnissen von damals befragten Besucher:innen, die im abgedunkelten Raum körperlos über unseren Köpfen eingespielt werden. Die Wucht der Londoner Schau wird im DHM gleichwohl nicht wiederholt. Damit stellt sich erneut die Frage, wie massenhaft erfahrene Gewalt visualisiert werden könnte oder sollte, und was uns Zuschauern zumutbar ist. Angesichts der täglich auf uns einprasselnden Bilder heutiger Kriege in der Ukraine und Gaza, erscheint das aber fast obsolet.

Kurzer Gedanke zur Erinnerungskultur

Die DHM-Ausstellung über historische Ausstellungen folgt der Überzeugung, dass die Spuren dieser frühesten Auseinandersetzungen und ihre darin vermittelten Narrative der gesamteuropäischen Erinnerungskultur auch heute noch Wichtiges hinzuzufügen haben. Denn trotz einer beispiellosen Aufarbeitung von Geschichte, ist das Wissen national sehr unterschiedlich geprägt und viele Verbrechen sind in Deutschland kaum bekannt.

Ausstellungsansicht mit dem Fragment des Adam-Mickiewicz-Denkmal von Cyprian Godebski aus dem Jahr 1898, Bronze, Muzeum Literatury Adam Mickiewicz, Warschau. Das Denkmal von Polens bedeutendsten Literaten stand bis zur Zerstörung durch die Deutschen infolge der Niederschlagung des Warschauer Aufstands 1944 im Stadtzentrum. Das Fragment konnte als Teil der Ausstellung „Warschau klagt an“ symbolische für den Genozid an der polnischen Kultur verstanden werden. Foto: Nicole Guether 2025.

Auch nach Jahrzehnten der Holocaust- und NS-Forschung bleibt so weiterhin neues Wissen zu generieren und die Erinnerung, so der Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum Raphael Gross, ist Teil der historischen Verantwortung. Dabei ist es „[i]n einer Welt, in der Geschichtsverfälschung und neue Kriege die europäische und globale Ordnung herausfordert […] entscheidend, historisches Wissen zu vermitteln“ (aus der Pressemitteilung).

Fazit: Ausstellung als Medium kollektiver Traumaverarbeitung

Ausstellungen waren das früheste Medium kollektiver NS-Traumaverarbeitung und ihre Recherchen wurden später in Prozessen eingesetzt. Alle waren eine Form von Rückeroberung: Jene, der durch die NS-Besatzung entwendeten Räume, so z.B. des Grand Palais und der Villa Hersch. In jedem Fall waren sie Rückeroberungen des eigenen Narrativs über die vielfältig erlebten Verbrechen, die NS-Deutschland in den besetzten Ländern und Gebieten beging – in den zehntausenden Konzentrationslagern, in den Vernichtungslagern des Ostens, mit Massakern an der Zivilbevölkerung und durch alltägliche Gewalttaten – über die unter der Besatzung kaum hinter vorgehaltener Hand gesprochen werden konnte, geschweige denn in breiter Öffentlichkeit verhandelt.

Manche der hier vorgestellten sechs Ausstellungen tourten anschließend durch Europa, bis der beginnende Kalte Krieg einen West-Ost-Austausch beendete. Die Reichweite in die Bevölkerung hinein jedoch, anders als in der DHM-Ausstellung suggeriert, hielt sich dabei in Grenzen, wenn auch die Reaktionen profund waren. In Wahrheit, das wird in der Ausstellung über die Ausstellungen genannt, weckten die Aufarbeitungen vielfach erst Jahrzehnte später auf breiter Ebene Interesse. Die Kriegs- und Gewalterfahrungsgebeutelte Generation wollte nach dem Krieg erstmal einen Schlussstrich ziehen.

Eine schiere Mammutaufgabe, die sich Kuratorin Agata Pietrasik gestellt hat, aus sechs hochkomplexen Ausstellungen herauszufiltern, um eine Vorstellung von diesen auf rund 4000 Quadratmetern Ausstellungsfläche zu vermitteln. Dazu hat sie sich auf wesentliche Aspekte fokussiert, die Form und Inhalte, jeweilige (perspektivische) Themenschwerpunkte und die lokalen/ nationalen Kontexte bedienen. Leider erfahren wir nicht, wie die Auswahl zustande kam, ob oder welche anderen Ausstellungen es neben diesen gegeben hat, was durchaus denkbar ist. Die hier vorgenommene Auswahl erscheint daher eine subjektive der Kuratorin. Insgesamt wird nicht deutlich genug, ob die NS-Besatzung eigentliches Thema ist, oder die kuratorische Praxis. Das wäre beim Thema beispielloser Gewalt vielleicht eine zu taktlose Fokussierung.
Die in Kooperation mit dem Dokumentationszentrum „Zweiter Weltkrieg und deutsche Besatzung in Europa“ (ZWBE) organisierte Ausstellung im Pei-Bau fügt der NS-Forschung nichts Neues hinzu. Sie wird aber in mancher Hinsicht Aspekte von NS-Gewaltverbrechen erstmals einem deutschen Publikum vorführen, indem sie Themen und Regionen anspricht, die trotz jahrzehntelanger Vergangenheitsbewältigung weniger in der Breite angekommen ist. Wer also von Schlussstrich spricht, dem sollte spätestens hier deutlich werden, dass noch viel dazuzulernen ist.

„Gewalt ausstellen: Erste Ausstellungen zur NS-Besatzung in Europa, 1945-1948“
Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums in Zusammenarbeit mit dem Dokumentationszentrum „Zweiter Weltkrieg und deutsche Besatzung in Europa“
24. Mai 2025 bis 23. November 2025

Kuratorin: Dr. Agata Pietrasik
Ausstellungsgestaltung: Hans Hagemeister, Marie-Luise Uhle
Titelfoto: Ausstellungsansicht „Gewalt ausstellen. Erste Ausstellungen zur NS-Besatzung in Europa, 1945-1948“ © Deutsches Historisches Museum, Foto: David von Becker 2025.

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