DDR Museum Berlin: „Die Ostsee – Urlaubsziel, Grenzgebiet, Sehnsuchtsort“ – von Nicole Guether

Sehnsuchtsorte gab es in der DDR viele, wirklich erreichbar war jedoch nur einer: die Ostsee. Das Berliner DDR Museum hat ihr eine kleine Sonderausstellung ausgerichtet, um sich dem knapp 600 Kilometer langen Küstenstreifen in seiner Dualität zu widmen: Als Ort für die schönsten Wochen des Jahres und zugleich schwer bewachtes Grenzgebiet, in dem der Staat seine Macht demonstrierte, Fluchten vereitelte und doch der Bürger Sehnsucht nach Fernweh und Urlaubsidyll nachkommen musste.

Welche Bedeutung hatte die Ostseeküste für die Bewohner:innen der DDR?

Die DDR war grau, nicht nur wegen der horrenden Luftverschmutzung und den verfallenden Bauten, auch der Alltag der Ostdeutschen sah allgemein eher grau aus: Von der verlangten nüchternen Einheitsmode bis zum Warten in langen Schlangen vor dem Konsum. Die Versorgungsknappheit war allgegenwärtig, das war auch in den Urlaubsorten so, wo während der alljährlichen „saisonalen Völkerwanderung“ Brötchen schon um 10 Uhr morgens ausverkauft waren.

Der Mangel an Alternativen bestimmte auch die wenigen Urlaubsreiseziele der DDR-Bürger:innen, denen das Recht auf Urlaub zwar formal zustand, tatsächlich aber durch die Reisebeschränkung enorm beschnitten war. Selbst in die benachbarten Bruderländer ließ es sich nicht ohne weiteres reisen. Fernweh und Reiselust waren Privilegien, zu groß war die Angst der Führungsriege, dass die Bürger:innen aus dem Urlaub nicht mehr zurückkehrten. Da blieb vielen nur das einzige heimische Meer im Norden.

Kontrastreicher Kulturraum Ostsee

Die Vitrinen-Ausstellung im zentralen Raum des, beim dichten Andrang der vielen Besucher:innen, zu kleinen DDR-Museums, zieht unsere Blicke mit einer groß aufgezogenen Fotografie an. „Ein Glücksfund“, so der Kurator Sören Marotz. Sie zeigt einen Jagdbomber im Kurvenflug über die Ostsee. Unter ihm das gelbe Streifen Glück der Ostseeküste.

Die Aufnahme stammt aus der Wendezeit, vorher war ein vergleichbares Bild wegen der strikten Grenzsicherung unmöglich. Ein Bekannter des Kurators hatte sie einst gemacht und für die Ausstellung zur Verfügung gestellt. Sie fasst auf einzigartige Weise bildlich zusammen, was die heute schwer vorstellbare Realität des Ostseeurlaubs ausmachte. Denn gleich hinter dem Strandidyll wartete das sehr reale System der Grenzüberwachung.

Eine Vitrine – eine Ausstellung; Foto: Nicole Guether 2025

Während also mit Sandburgen gespielt wurde, donnerten die Patrouille fliegenden Jagdbomber des Typs Suchoi-Su-22 täglich über die Köpfe der Urlaubenden. Reale militärische Verteidigung nach außen sowie Drohkulisse nach innen: Vom Bau der Mauer bis zu ihrem Fall wagten 5.636 Menschen die Flucht über die Ostsee, die in nur 913 Fällen geglückt war. Fraglos, welche Grenzverteidigung die zentrale war.

Detailansicht der „Intro“-Installation; Foto: Nicole Guether 2025

Dieser irritierende Dualismus wird mit der „Intro“-Installation wirkmächtig eingefangen. Daneben breitet sich auf den gläsernen Regalen ein Potpourri aus Ost-Produkten und Souvenirs aus, mit denen die Ostseeküste in fünf Themenbereichen vorgestellt wird: Mythos Meer, Staatsgrenze, Motiv in Kunst und Kultur, Übernachtung und Speisen sowie Strandleben.

Objekte, die Geschichten fassen

Die ausgewählten Objekte stammen mehrheitlich aus den 1970er Jahren. Damit passt man sich dem Schwerpunkt der umliegenden Dauerausstellung an. Es ist jedoch auch insofern passend, weil das Jahrzehnt mit Honeckers Machtantritt mit der Aussicht auf eine Liberalisierung begann, die nie eingelöst wurde. Bekanntlich war die Mauer am Ende der 70er Jahre zu einem hochkomplexen Sicherheitssystem gereift.

Mit Reiseandenken, Kitsch sowie Gebrauchsgegenständen wollen die Kuratoren von den „heimlichen und nicht ganz so heimlichen Sehnsüchten ihrer Käufer“ (aus einem Blogeintrag zur Ausstellung, Homepage des DDR-Museums) erzählen. Daher darf eine Reproduktion von Walter Womackas Bild „Am Strand“, das wohl am meisten verbreitete in der DDR, nicht fehlen. Es steht für die Ostsee als Sehnsuchtsort. Ebenso erzählen Kinderbücher von Fernweh und Abenteuerlust, die selten gestillt wurde, aber mit der Weite des Meeres assoziiert wird. Und doch war die Ostsee eine finis terrea – das Ende der, für DDR-Brüger:innen zumal, erreichbaren Welt.

Ein Schaufenster zum Flanieren; Foto: Nicole Guether 2025

Auf dem begrenzten Platz der Vitrine wird größtenteils auf Text verzichtet. Das scheint im Hinblick auf manche Objekte, die nicht selbsterklärend sind, oder vielfach gänzlich unbekannt sein dürften, bedauerlich. Erst die zu erzählende Geschichte dahinter machen diese „Artefakte“ interessant. Jedoch, in der Zusammenstellung der Objekte offenbart sich der Kontrast aus Urlaubsfreude und Kalter-Krieg-Realität. Dieses Nebeneinander ergibt ein Stimmungsbild, das die „Kluft zwischen den realisierten Träumen von unbeschwerte(n) Badeferien und den unerfüllten Sehnsüchten nach Freiheit und Weltreisen“ (Homepage DDR-Museum) aufzeigt.

Verbots- und Warnschilder neben der von einem Jet-Piloten gezeichneten Küstenkarte, Camping-Utensilien neben der mageren Menükarte eines Restaurants. Auch einige Farbfilme der DDR-Marke Orwo gesellen sich zu einer Platte von Nina Hagens „Micha“, diesem melancholischen Lied über einen verpassten Sommer. Ein DDR-Urlaub an der Ostsee ist nicht vergleichbar mit heutigen Urlauben, das wird klar. Denn wo tagsüber noch lustig im Sand Burgen gebaut wurden, glitten nachts die grellen Lichter der Suchscheinwerfer hinweg. Das heute romantisierte Bild des Sonnenuntergangbetrachters mit der Flasche Wein, das gab es (nicht nur mentalitätsgeschichtlich) so nicht.

Um die Ecke gibt es noch digital anwählbare Mehr-Informationen zum ausstellungseigenen Wettbewerb in Kooperation mit der Superillu, in dessen Rahmen das Sandburgenmodell entstanden ist. Foto: Nicole Guether 2025

Fazit: Eine Vitrine, eine Ausstellung

Den Kuratoren Sören Marotz und Stefan Wolle ging es um eine Ausstellung, die das „Flanieren bedienen“ soll, optisch locken ohne jedes Detail zu erklären. Und sie verstehen es mit nur wenigen Objekten ein Erinnerungspanorama zu schaffen. Der ein oder die andere Besucher:in wird sicherlich Gegenstände wieder erkennen, die Andenken an die eigene Biografie sind. An dieses Publikum richtet sich die Ausstellung vornehmlich, alle anderen werden angeregt auf eigene Faust zu stöbern und die Gegenstände zu hinterfragen, nach Nutzen, Bedeutung und Symbolik – so man sich darauf einlässt.

Dazu boten das Jahr über verteilt nicht nur Vorträge die Möglichkeit, sondern auch Blogbeiträge auf der Homepage, die im Nachgang eine weiterführende Beschäftigung ermöglichen und ausgewählte Exponate erklären.

Mit dem guten Konzept der Kuratoren wird auf geringem Platz durch eine bedachte Auswahl konsequent der irritierende Dualismus eines Ostseeurlaubs, wie er wirkmächtig im Arrangement aus Fotografie, Sandburg und Pilotenoutfit evoziert wird, aufrechterhalten. Aber auch sonst sprechen der Tand, die kitschigen Souvenirs und das ausgeblichene Plaste von vergangenen Ferienfreuden in Zeiten, wo nicht alles zu haben war und vielleicht gerade deshalb umso mehr genossen wurde.

Noch kurz zur Dauerausstellung im DDR Museum

Seit 2006 macht das privatwirtschaftlich geführte Museum, direkt an der Spree und gegenüber des Berliner Doms, Leben und Alltag in der DDR erfahrbar. Der Besucherandrang, wo Schulklasse auch nachmittags noch geführt werden, und sich viele internationale Besucher:innen tummeln, bezeugt die durchweg breite Zustimmung. Bereits zwei Mal wurde das DDR-Museum für den European Museum of the Year Award nominiert (bisherige Gewinner waren u.a. das Victoria and Albert Museum, London, Rijksmuseum in Amsterdam, Guggenheim Bilbao, etc.). So gehört es inzwischen zu den meistbesuchten Museen und Gedenkstätten der Hauptstadt, eines der wenigen, das an jedem Öffnungstag bis 21 Uhr geöffnet hat.

Ansicht in den Ausstellungsraum, Dauerausstellung – Mit sozialistischem Bruderkuss! Foto: Nicole Guether 2025

In viele interaktiven, durchaus spaßigen und dennoch informativen Stationen wird den Besucher:innen sowohl die Geschichte als auch das Lebensgefühl der DDR vermittelt. Ob in der Fahrsimulation in einem originalen Trabbi, bei der man sich zwangsläufig fragen wird, wie je mehr als zwei Erwachsene Platz finden konnten, oder in der detailgetreuen Nachbildung einer Plattenbauwohnung, die Ausstellungsmacher haben sich so einiges und mit viel Liebe fürs Detail einfallen lassen. Auch in den kleineren Stationen wird spielerisch als auch didaktisch gut Wissen vermittelt. So fand ich beispielsweise die Lösung hervorragend, mit der erklärt wird, aus welchen Gründen seit 1971 das inoffizielle Verbot herrschte, den Liedtext der DDR-Hymne zu singen: Auf kleinem Monitor erscheint das Transkript der eingespielten Hymne und man ist aufgefordert, den roten Buzzer davor zu betätigen, wenn die kontroversen Passagen erscheinen.

Es bietet sich selten an, aber wenn angebracht, dann sollte es auch sein: Großer Dank an den Ausstellungsleiter und Kurator Sören Marotz, der sich die Zeit nahm mich durch die Ausstellung zu führen und jede meiner Fragen zu beantworten. Ebenso geht mein Dank an Simone Uthleb, Leiterin der Presse und Öffentlichkeitsabteilung, die mit großem Enthusiasmus und Freundlichkeit alles in die Wege geleitet hat.

Zum Schluss werde ich auch noch ins neu eröffnete DDR-Museumsdepot nach Marzahn eingeladen, wo mit rund 360.000 Objekten einer der größten Sammlungen von Alltagsgegenständen aus der DDR in zwei energieneutralen Hallen untergebracht wird. Obendrein dienen die neuen Räume als neue Forschungseinrichtung, Restaurierungswerkstatt und Erinnerungsort, wo man zugleich die Ausbildung in der Erhaltung historischer Objekte und deren historischer Einordnung ermöglichen wird.

DDR Museum, Berlin, „Die Ostsee – Urlaubsziel, Grenzgebiet, Sehnsuchtsort“, 25. Juli 2024 – 15. Juni 2025 (verlängert)

Kuratierung: Sören Marotz und Stefan Wolle

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