Seit der zweiten Welle der Frauenemanzipation werden Frauen der antiken Mythen neu bewertet und damit vom Jahrtausende alten „male gaze“ befreit. Die Sonderausstellung im letzten Raum des Obergeschosses zeigt mit Artefakten der griechischen, etruskischen und römischen Kunst wie die Antike Frauen dargestellt hat und welche Aspekte ihre Geschichten dominierten.
Damit möchte die Ausstellung die Frauengestalten jenseits ihrer stereotypen Rollenklischees hinterfragen und aufklären, welche Handlungsfreiräume Frauen in der Antike blieben. Der Fokus wird auf zwölf Göttinnen und Heldinnen gelegt: „Monströs wie Medusa, schön wie Aphrodite, treu wie Penelope“ – aber sind das überhaupt Beschreibungen, die in der Antike festgeschrieben wurden?

Die Ausstellung: Schaut endlich auf die Frauen!
Die feministischen Neubewertungen der letzten Jahrzehnte stellten den Ausgang für die Auseinandersetzung der Kuratorin Annegret Klünker, wie sie im Gespräch zum Audioguide erklärt. Sie wünsche sich einen „neuen Blick eines breiten Publikums auf die Frauen“ der antiken Sagen und Geschichten.
Auf dem großen schwarzen Podest in der Mitte des Saales erheben sich lebensgroße Stauten in ihrem strahlenden Weiß. Entlang der Wände werden kleinere Objekte, je einer Frauengestalt zugeordnet, in Vitrinen gezeigt. Texte leiten in das Thema oder die These hinter Penelope, Atalante, Hera, Medusa, Kirke und Omphale ein und werden ergänzt durch Objektbeschreibungen, die vertiefende Informationen zum Mythos oder der Darstellungsgeschichte geben.

Die Eingangssituation bildet ein römischer Sarkophag aus dem 3. nachchristlichen Jahrhundert, der mit einem Relief zum Raub der Persephone geschmückt ist. Die darin auftauchende Gewalt ist bagatellisiert und stünde damit sinnbildlich für die „Normalisierung von männlicher Gewalt gegenüber Frauen“, so die Kuratorin. Erzählt wurde eben Jahrtausende lang allein von Männern. Mit diesem Anfang wird auf aktuelle Debatten verwiesen, woran sich im Folgenden die Fragen anschließen, welche weiblichen Frauengestalten die Antike geliefert hat und wie sich heute auf diese blicken lässt.
In drei Themenbereichen wird der Handlungsspielraum antiker Göttinnen und Heldinnen eingeordnet, die entweder positives Vorbild, abschätziges Negativbild, oder verehrte „Rollenprovokateurin“ waren. Aber wie war dies möglich und was erzählt deren Vorhandensein über die Antike, deren streng patriarchales System die Frau in einem stereotypen Rollenkorsett gefangen hielt?
Die Frau in der Antike: Zwischen Penelope und Medusa
Gesellschaftlicher Wert kam der antiken Frau – wie bis weit in die Moderne hinein – allein als Gattin und Mutter zu, andernfalls galt sie nicht einmal als Frau. Als Vorbildfiguren werden dafür Penelope und Hera herangezogen, obwohl beide in ihren Mythologien durchaus facettenreicher gezeichnet werden. Im Falle von Penelope gerieten diese mit der Zeit jedoch in Vergessenheit, wurden verdrängt vom stereotypen Idealbild des 19. Jahrhunderts. Ihre Repräsentationen in der Ausstellung zeigen sie wiederholt in der Pose der Denkerin, womit an ihre kluge Listigkeit erinnert wird – derselben, für die ihr Gatte Odysseus berühmt wurde.

Die oberste Göttin Hera wird indes, und unverständlicherweise, in Bildnissen vertreten, die inzwischen allesamt als fragliche Repräsentationen gelten. Sie zeigen sie in den Rollen der mächtigen Herrscherin und (liebevollen) Mutter – das ist jedoch konträr dazu, wie sie die antiken Mythen beschreiben. Nämlich als eifersüchtige wie rachsüchtige Gegenspielerin ihres Brudergatten Zeus, gegen den sie als einzige der olympischen Götter und Göttinnen eine bedrohliche Rebellion wagte anzuzetteln. Dieser Aspekt wird wohl nicht bedacht, weil sich dafür keine Bilder erhalten haben. Das aber ist doch ein Aspekt der Mythologie der mit dem Rollenklischee von hinten aufräumt.

Wenn sich Frau als mächtig gab, dann wurde sie allgemein als normabweichend angesehen und ausgegrenzt. Heldinnen wie Atalante, Medusa, Ompahle und Kirke gerieten zu negativen Gegenbildern, wurden zu „monströsen Frauen“ gemacht. Vor dem Hintergrund der antiken Lebenswelt scheint die Existenz dieser Frauengestalten jenseits ihrer Rollenklischees jedoch gänzlich unmöglich. Gab es ihre Geschichten nur, um den antiken Frauen als abschreckendes Gegenbild zu dienen, als „entmannende“ Warnungen den Männern? Die antiken Bildnisse wecken nicht den Eindruck, da sie ohne Negativzeichnung die Stärke, ja Gleichwertigkeit, betonen.
Dazwischen wird den „Grenzgängerinnen“ Platz eingeräumt. Drei der olympischen Hauptgöttinnen, Athena, Aphrodite und Artemis, widersetzten sich erfolgreich jeglicher Rollennorm. Sie hatten keine Abwertung zu befürchten und beweisen damit, welchen erweiterten Spielraum Göttinnen gewährt wurde. Während Aphrodite promiske Selbstbestimmtheit an den Tag legen konnte, wehrten sich die verunglimpften Frauen gegen sexualisierte Gewalt. Medusa wurde schließlich als Bestrafung für die an ihr verübten Vergewaltigung in das hässliche Seeungeheuer verwandelt.

Woher nehmen wir unser Wissen über die Mythen?
Die ursprünglich oralen Sagen reichen bis ins 18. Jahrhundert v.u.Z. zurück und sind in schriftlicher Form frühestens durch Homer niedergeschrieben und über römische Autoren bis in die Neuzeit überliefert worden. Die Funktion antiker Mythen war es zu belehren, zu erbauen und zu unterhalten, jedoch kaum um der Nachwelt zu erklären, wie „Frauen in ihrer Zeit gelebt, gefühlt oder gedacht haben“ (Elke Hartmann). Zudem waren auch die Mythen reine Elitenzeugnisse, produziert von privilegierten Männern der Bildungselite, die vornehmlich über Frauen des eigenen Standes produzierten.
Unser Wissen um die antiken Sagen wird jedoch bis heute dominiert von der Mythensammlung Gustav Schwabs, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts in mehreren Auflagen herausgegeben wurde. Mit seinem Sammelband richtete sich Schwab an ein Zielpublikum, dass sich ohne Kenntnisse der alten Sprachen mit dem historischen Erbe auseinandersetzen sollte – also auch Frauen und Kinder. Dabei zielte Schwab im Sinne des bürgerlichen 19. Jahrhunderts auf die moralische Erziehung durch Mythen und strich alle Anzüglichkeiten der originalen Texte. Die Freizügigkeit der alten Griechen wurde gutbürgerlich getilgt.
Das 19. Jahrhundert mit seinem rigiden Rollen- und Geschlechterverhältnissen, in denen die Sphären von Mann und Frau streng getrennt waren und das Männlichkeitsbild vom soldatischen Ideal geprägt war, orientierte sich vornehmlich an den Heroenmythen, in denen Frauen lediglich als Objekte der Geschichten statt als handelnde Personen vorkamen.
Fazit
So viele Mythen der Antike beschäftigen sich mit Frauenraub, dass sie uns heute noch anzeigen wie alltäglich dieser in früheren Zeiten war. Wo kein normatives Recht gilt, gilt das Recht des (körperlich oder finanziell) Stärkeren. Der Umgang mit Frauen zeigt den wahrhaften Zustand von Zivilisation an (Autsch: ein Armutszeugnis noch für uns heute, wo Femizide alltäglich passieren).
Waren Frauenfiguren bereits zu antiken Zeiten ausschließlich stereotype Rollenklischees? Diese Frage bleibt ungeklärt, da nicht klar ist, auf welche Mytheninterpretation sich die Kuratorin eigentlich bezieht. Zur stringenten Aufrechterhaltung dieser These wären die genauen Quellenbezüge hilfreich. M.E. trifft das nämlich in dieser Schärfe so vornehmlich auf die Mythensammlungen des bürgerlichen 19. Jahrhunderts zu. Dann wäre die Ausstellungsthese einer Missinterpretation aufgesessen. Stellenweise wäre daher eine Gegenüberstellung der Objekte und Objektfragmente mit konkreten Quellen angebracht gewesen. Auch das Repetitive der Objekte verhilft der These nicht, da bildliche Darstellungen in ihrem tradierten Nachleben weit weniger dem gesellschaftlichen Wandel unterliegen, auch wenn die Erzählung dies tut.

Die Ausstellung bietet einen Einstieg für Neuinteressierte, dass macht auch der Audioguide deutlich, der nicht zu jeder mythologischen Figur etwas beiträgt, sondern vielfach Gespräche über einzelne Aspekte hergibt. So war das Gespräch zum Thema „treue Gattin“ für mich eher unergiebig, aber stellt wohlmöglich einen griffigen Ansatzpunkt für ein offensichtlich angestrebtes jüngeres Publikum dar. Die Ausstellung als Korrektiv funktioniert daher nur eingeschränkt, macht aber auf Anfängerebene Lust zur Beschäftigung.
Eine Feedback-Bereich mit Sitzecke gibt die Möglichkeit des vertiefenden Einlesens in die Thematik, u.a. liegt der Ausstellungskatalog aus. Auch kann man seine persönliche Favoritin der Ausstellung wählen. Und da die Ausstellung auf feministischen, literarischen Neuinterpretationen beruht, die den oft misogynen Erzählungen neue Perspektiven eröffnet, folgte hier eine Auswahl an neuen und neueren Büchern zur Thematik.
Belletristik:
Christa Wolf, Medea. Stimmen, 1996
Christa Wolf, Kassandra, 1983
Rani Selvarajah, Savage Beasts, 2025 (wird in der Ausstellung u.a. auch im Audioguide vorgestellt)
Madeline Miller, Ich bin Circe, Aus dem Englischen von Frauke Brodd, Eisele, 2018
Natalie Haynes, A Thousand Ships, Pan MacMillan, 2019
Pat Barker, The Silence of the Girls, Penguin Books, 2019
Sachbuch:
Elke Hartmann, Frauen in der Antike: Weibliche Lebenswelten von Sappho bis Theodora, C.H. Beck 2021
Altes Museum Berlin, Ausstellung „Göttinnen und Gattinnen: Frauen im antiken Mythos“, 24.5.2024 bis 4.5.2025
Kuratorin: Annegret Klünker
Gestaltung: formdusche – Studio für Gestaltung


















