YOKO ONO. MUSIC OF THE MIND. Ein Plädoyer für partizipative Kunst – von Julia Braun

Die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt Düsseldorf war in den 1960er-Jahren das Zentrum der deutschen Fluxus-Bewegung. Jetzt widmet sie einer der bedeutendsten Vertreterinnen dieser Kunstströmung, Yoko Ono, eine Ausstellung. In Kooperation mit der Tate Modern zeigt das K20, eines der Häuser der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, ihre Werke vom 28.9.2024 bis zum 16.03.2025. [Anmerkung der Redaktion: Die Ausstellung wird vom 11.4. bis 31.8.2025 im Gropius Bau in Berlin gezeigt.]


Yoko Ono, PEACE IS POWER, K20 Kunstsammlung NRW 2024. Foto: Linda Inconi-Jansen, 2024.

„PEACE is POWER“ – In großen Lettern prangt Yoko Onos Statement an der Fassade des K20 und bereitet das Publikum schon vor dem Betreten des Museums auf die zwei wichtigsten Aspekte der Ausstellung vor. Um das Verständnis der heute 92-jährigen Künstlerin von Frieden und Macht zu entschlüsseln, wird ihr Schaffen in einer losen Chronologie von 1955 bis in die Gegenwart beleuchtet. Highlights sind zweifelsohne die Kunstwerke, die die Besuchenden einladen, Onos Anweisungen auszuführen, die Kunst zu berühren und nach den Vorstellungen der Künstlerin mit ihnen zu interagieren. In „Painting to shake hands (painting for cowards)“ fordert Ono die Besuchenden dazu auf, sich durch ein Loch in einer Leinwand die Hände zu reichen und auf diese Weise miteinander durch die Kunst zu kommunizieren.

Links: Yoko Ono, Painting to Shake Hands, 1961, erstmals realisiert 1962, erneut realisiert für Yoko Ono. Music of the Mind, Tate Modern, London, 2024, Acryl auf Leinwand, 190 x 130 cm, Foto: © Tate (Lucy Green) / Kunstwerk: © Yoko Ono. Rechts: YOKO ONO. MUSIC OF THE MIND. Ausstellungsansicht, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 2024. Foto: Bozica Babic 2024.

Etwas mehr Überwindung verlangt den Besuchenden das „Bag Piece“ ab. Hier sollen sie ihre Schuhe ausziehen und allein oder mit anderen in einen schwarzen Sack steigen. Der korrespondierende Text erläutert Onos Absicht: Indem man sich in dem Sack befindet, gewinnt man eine neue Perspektive auf die Welt. Gleichzeitig vollzieht man eine Wandlung und wird von den Außenstehenden, unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht und Alter nur noch als „Geist“ oder „Seele“ wahrgenommen.

Die Aufsichten der Ausstellung sind dazu angehalten, die Besuchenden darin zu ermutigen, mit der Kunst zu interagieren und so selbst Teil der Performances zu werden. Viele lassen sich gerne darauf ein, was man auch am „Shadow Piece“ erkennen kann. Die Instruktion ist knapp und etwas kryptisch: „Put your shadows together until they become one / Fügt eure Schatten zusammen bis sie eins werden.“ Durch die beiliegenden Kohlestifte und die Leinwand, auf der schon Unzählige ihrer Aufforderung nachgekommen sind, wird die Aufgabenstellung etwas klarer. Man soll die eigene Silhouette im Gewimmel aus Umrissen früherer Ausstellungsbesucher:innen verewigen. Indem man seinen Blick auf unterschiedliche Bereiche des Bildes fokussiert, treten in einem Moment einzelne Personen deutlich hervor, bevor im nächsten die Masse der Partizipierenden als solche wirkt. Indem die Instruktionen der Künstlerin stets mit ihrem Kürzel „y.o.“ versehen sind, wirken sie persönlich und wie kleine Briefe an das Publikum; öffentlich, aber dennoch intim.

Anfänglich erscheint es fremd, Anweisungen einer Künstlerin entgegenzunehmen, die selbst nicht anwesend ist. Überwindet man jedoch die gewohnten Regeln von Kunstmuseen und lässt sich darauf ein, die Kunst nicht nur mit den Augen zu erfahren, fällt auf, dass man durch Yoko Onos Kunst auch mit anderen Ausstellungsbesucher:innen in Austausch tritt. Denn die eigene Beteiligung an den Kunstwerken weckt schnell das Interesse anderer Besuchender, wodurch interessante und gelöste Gespräche entstehen.

YOKO ONO. MUSIC OF THE MIND. Installationsansicht, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 2024. Foto: Andreas Endermann, 2024

Neben der direkten Ansprache des Publikums in Form von Instruktionen helfen unterschiedliche Medien dabei, die Menschen an Yoko Onos Kunst heranzuführen. Ihre Ideen werden durch Videos, Musik, Fotos, haptische Objekte, Texte der Künstlerin und der Kuratorinnen in der Ausstellung erfahrbar. Dies ermöglicht ein tiefgreifendes Verständnis ihrer Arbeit und schafft verschiedene Zugänge zu dieser. Die Multimedialität ist eine Grundlage des künstlerischen Schaffen Yoko Onos und zeigt, wie viele Ausdrucksformen sie beherrscht.

Das lebhafte Treiben der Ausstellung wird durch Texte zäsiert, die wichtige Etappen im Leben der Künstlerin beschreiben: ihre Kindheit im bombardierten Japan, den Umzug zu ihren Eltern nach New York, die dort stattfindende Entwicklung ihrer Kunst mit Instruktionen und ihre ersten Ausstellungen, die die Geschichte der Konzeptkunst veränderten. Auch ihre Verbindung zu Deutschland wird ersichtlich, indem die Ausstellung Yoko Ono eine wichtige Rolle in der Entstehung des Fluxus in Düsseldorf zuspricht. Vielen Besuchenden dürfte bereits vor der Ausstellung der Abschnitt ihres Lebens bekannt sein, in dem Yoko Ono John Lennon begegnete und sich gemeinsam mit ihm für den Weltfrieden einsetzte. Auch der tragische Verlust ihres Mannes und ihre musikalischen Arbeiten nach 1980 werden in der Ausstellung aufgegriffen.

YOKO ONO. MUSIC OF THE MIND. Installationsansicht, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 2024. Foto: Achim Kukulies 2024.

Auch einige sehr bekannte Werke Yoko Onos finden in der Ausstellung ihren Platz. In einer Dauerschleife wird „Cut Piece“ gezeigt und mit Fotos von Aufführungen aus den 1960er-Jahren, Programmheften und Tickets der zugehörigen Veranstaltungen ergänzt. In dieser Aktion entwickelt sie den Gedanken weiter, der Kunstwerken wie „Painting to Shake Hands“ zugrunde liegt. Nun ist es nicht mehr die Leinwand, die zerschnitten wird, sondern die Kleidung der Künstlerin. Der voyeuristische Aspekt der Performance ist dabei nicht abzustreiten. Zugleich regt das Video der 1964 erstmals aufgeführten Performance einige Ausstellungsbesucher:innen dazu an, miteinander über das Werk und über das menschliche Streben nach Macht, persönliche Grenzen und deren Überschreitung zu sprechen. Auch hier klingt der demokratische Gedanke in Yoko Onos Kunst an. Jeder Mensch geht individuell mit ihm gegebener Macht um. Manche werden gierig, reizen die Grenzen dessen aus, was als allgemein akzeptiert gilt, und entblößen die Künstlerin dabei fast, während andere kreativ werden und die Garderobe der Künstlerin mit der Schere neugestalten oder sich einen einzelnen Knopf als Memento mitnehmen. Die Künstlerin selbst greift nicht in das Tun der Teilnehmenden ein und wertet deren Verhalten nicht. Vielleicht ist hier eine Verbindung zum Statement an der Fassade des K20 erkennbar. „Peace is Power“ – Yoko Ono teilt die Macht über ihren Körper mit dem Publikum und nimmt friedlich hin, was geschieht.

Yoko Ono, Cut Piece, 1964, fotografiert am 21. März 1965, aufgeführt von Yoko Ono im Rahmen von New Works of Yoko Ono, Carnegie Recital Hall, New York, Foto: Minoru Niizuma, © Yoko Ono.

Yoko Onos gesamtes Oeuvre ist ein Plädoyer für die Beteiligung des Publikums an ihrer Kunst. Mit ihr fordert sie die Menschen in ihrem Kunstverständnis heraus und verlangt ihnen eine eigene Haltung zu sozialen und politischen Themen ab. Hierzu führt die Künstlerin die Besuchenden mit direkten Aufforderungen an ihre Kunstwerke heran, sodass jeder teilhaben kann. Auch wenn Ono auf dem Plakat zur Ausstellung einen Hammer in ihren Händen hält, so ist es doch ein gläserner Hammer. Dies lässt sich als Sinnbild für ihre Herangehensweise an die Hochkultur in Form der bildenden Kunst verstehen. Mit sanfter Gewalt stößt sie die Kunst von deren Sockel und gibt dem Publikum in Form ihrer Instruktionen das Werkzeug an die Hand, es ihr gleichzutun und sich an diesem Prozess zu beteiligen. Mit ihrem Ausspruch, „Kunst ist nichts Besonderes“, der in der Ausstellung wiedergegeben wird, lässt sie das Publikum damals wie heute, ihr Schaffen als Künstlerin und auch die eigene Haltung zur Kunst hinterfragen. Gleichzeitig ist Onos Kunst ein Hilfsmittel zur Selbsterfahrung. Ihre Werke werden erst durch die Beteiligung der Künstlerin, des Publikums und der Umgebung vollendet, so die Kuratorinnen. Indem ihre Werke den Moment der Entstehung und die dazu benötigte Partizipation der Menschen über das Endergebnis stellen, regt die Künstlerin die Kreativität und Schaffenskraft des Publikums an. Yoko Ono teilt hierdurch ihre Deutungsmacht, die ihr als Schöpferin ihrer Werke innewohnt, mit den Ausstellungsbesucher:innen. Jeder und jede kann und soll etwas tun, etwas zum Kunstwerk und zum Leben beitragen.

YOKO ONO. MUSIC OF THE MIND. Ausstellungsansicht, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 2024. Foto: Bozica Babic 2024; Installationsansicht, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 2024. Foto: Achim Kukulies 2024.

Dies wird auch an einem der letzten Werke der Ausstellung ersichtlich. Hier greift Yoko Ono ein sehr aktuelles Thema auf. In „Add Colour (Refugee Boat)“ rekurriert die Künstlerin auf eine ihrer Ideen aus dem Jahr 1966 und bittet die Besuchenden, an einem kollektiven Kunstwerk mitzuarbeiten. Das ursprünglich weiße Boot und der weiße Raum, in dem es sich befindet, sind durch eine Flut an Botschaften in blauer Farbe in einen Ozean an Kommentaren und Friedensbotschaften verwandelt worden. Wie die meisten der über 200 Werke in der Einzelausstellung zu Yoko Ono im K20 zeigt das, wie demokratisch, humorvoll, spielerisch und geistreich Kunst sein kann.

Stiftung Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

Stiftung Kunstsammlung NRW K20, Düsseldorf, „YOKO ONO. MUSIC OF THE MIND“, 28.9.2024 bis 16.3.2025 (zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen)

Kuratierung Patrizia Dander, Juliet Bingham, Ursula Pokorny, Catherine Frèrejean und Andrew de Brún.

Anmerkung der Herausgeber: In diesem Blog soll es nicht in erster Linie um einzelne Ausstellungsstücke (wie Kunstwerke oder historische Objekte o.ä.) gehen, auch nicht um Künstler:innen, sondern um das Medium Ausstellung. Die Arbeiten Yoko Onos bieten Anregungen, um über das Ausstellen und die Potenziale von Ausstellungen allgemein nachzudenken. Deshalb haben wir die Rezension gern veröffentlicht.

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