„Das ist kolonial. Westfalens unsichtbares Erbe“ im LWL Museum Zeche Zollern – von Victoria Wulf

Was hat Kolonialismus mit den Menschen in Westfalen zu tun? Auf zwei Etagen Ausstellungsfläche beantwortet „Das ist kolonial. Westfalens unsichtbares Erbe“ im LWL Museum Zeche Zollern diese Frage. Was einst als Ausstellungswerkstatt im Jahr 2023 begann, mündet 2024 in eine durch die Öffentlichkeit mitgeprägte Ausstellung und dies auf vielfältige Weise.

Eingang der Ausstellung „Das ist kolonial. Westfalens unsichtbares Erbe“; Foto: Victoria Wulf, 2024

Reflexion der eigenen kolonialen Vergangenheit

Auch wenn Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern eine relativ kurze Kolonialbiografie aufweist, ist seine koloniale Vergangenheit weder unbedeutend noch harmlos. Ein besonders düsteres Beispiel ist hierfür der Völkermord an den Herero und Nama, der sich in den Jahren 1904 bis 1908 ereignete.
Über den regionalen Bezug gelingt es der Ausstellung deutlich zu machen, dass Kolonialismus kein fernes Kapitel der Geschichte ist, sondern bis in die Gegenwart wirkt und materielle Kontinuitäten aufweist. Dies wird insbesondere durch die Einbindung persönlicher Geschichten in Interviews deutlich, in denen Menschen aus Westfalen über ihre Betroffenheit sprechen und ihre Rolle im (Post)Kolonialismus reflektieren.

In „Das ist kolonial. Westfalens unsichtbares Erbe“ werden zudem dominante Erzählungen der westfälischen Industrie und der mit ihr verbundenen Menschen um kolonialgeschichtliche Erzählungen und Perspektivierungen erweitert und neu kontextualisiert. Hierbei rückt auch die Geschichte der Zeche Zollern selbst in den Fokus. So verweist ein ganzer Bereich der Ausstellung auf die kolonialen Bezüge des ehemaligen Steinkohlebergwerks. Diese „beruhen nicht nur auf der Förderung der Kohle und deren Verwendung für die Übersee-Schifffahrt. Entscheidungsträger der GBAG (Gelsenkirchener Bergwerks-AG) vertraten koloniale Interessen. Mancher Angestellte oder Bergarbeiter ging als Soldat in die Kolonien oder ließ sich als Fachkraft für den kolonialen Bergbau anwerben“ (Zeche Zollern 2024).

Die Zeche Zollern reflektiert zudem ihre Verbindung zum Kolonialismus als museale Institution. Ein knapp einstündiger Film beschäftigt sich mit der kolonialen Verflechtung der musealen Praxis und befragt den Ort Museum, welcher vornehmlich für weiße von weißen Menschen gestaltet wird. Die Auseinandersetzung der Zeche Zollern mit der eigenen kolonialen Geschichte findet somit auf doppelte Weise statt: Zum einen über die Zeche Zollern als industriell-historischer Ort an dem koloniale Interessen verfolgt wurden, zum anderen über die Zeche Zollern als Museum, die in der Tradition der musealen Praxis des Sammelns, Ausstellens und Erzählens steht.

links: Verweis auf die koloniale Vergangenheit der Zeche Zollern; rechts: Foto einer Szene des Filmes „How long is it gonna take?“, welcher auf der zweiten Etage der Ausstellung gezeigt wird; Fotos: Victoria Wulf 2024

Aufteilung des Ausstellungsraumes

Nach einer Einführung in die Ausstellung, sowie einer zeitlichen Kontextualisierung des Kolonialismus und dessen postkolonialen Kontinuitäten gliedert sich die Ausstellung auf der ersten Etage in vier thematische Schwerpunktbereiche. Die koloniale Verstrickung Westfalens wird den Besucher*innen anhand der thematischen Erzähllinien Wirtschaft/Industrie, Forschung/Mission, Alltag/Propaganda und Widerstand/Postkolonialismus deutlich gemacht.

Zeitstrahl, welcher vorkoloniale, koloniale und postkoloniale Ereignisse markiert; Foto: Victoria Wulf 2024

Fluchtpunkt der ersten Etage stellt die Installation „Koloniale Spuren in Westfalen“ dar, welche räumlich-materielle Überreste des Kolonialismus in einer Installation versammelt. Eine interaktive Karte ermöglicht es digital, Orte aufzurufen, die mit der kolonialen Geschichte Westfalens verknüpft sind. Darunter befinden sich zum Beispiel Straßenschilder, ehemalige Kolonialwarenläden oder Denkmäler. Gegebenenfalls stößt man so auch auf Orte, die Besucher*innen in ihrem Alltag häufig passieren, ohne um ihre koloniale Vergangenheit zu wissen. Für mich ist das Stadtparkhaus im Bochumer Stadtpark ein solcher Ort. 1926 fand dort die Reichskolonialtagung statt, die die Rückgewinnung von Kolonien für Deutschland forderte.

Teil der Installation „Koloniale Spuren in Westfalen“; Foto: Victoria Wulf 2024

Die zweite Etage der Ausstellung ist der ehemaligen Ausstellungswerkstatt (Das ist kolonial. Eine Ausstellungswerkstatt, März – Oktober 2023 im LWL Museum Zeche Zollern) gewidmet. Die Ergebnisse und Erfahrungen des Formats, bilden die Grundlage der heutigen Ausstellung.

Sinn und Zweck der Ausstellungswerkstatt war es die Öffentlichkeit in den Entwicklungsprozess der Ausstellung zu integrieren und durch partizipative Formate Dialoge über das Thema (Post)Kolonialismus anzuregen. In diesem Zusammenhang konnten Besucher*innen Gespräche führen, Fragen beantworten, Anmerkungen auf Klebezetteln oder eigene Gedanken zum Thema (Post)Kolonialismus in einem Aufnahmestudio hinterlassen.

Die Ausstellungswerkstatt sorgte medial wegen ihres originellen Konzeptes für Aufmerksamkeit, insbesondere wegen eines ausschließlich für People of Color angebotenen Rückzugortes. Hierbei wurden Besucher*innen gebeten den Ausstellungsraum samstags für einige Stunden People of Color zu überlassen, um eine Umgebung zu schaffen, in der sie sich sicher, respektiert und wahrgenommen fühlen können. AFD-Politiker hingegen deuteten die Intention des Raumes für ihre politischen Interessen um. Sie behaupteten, die Existenz des Raumes sei Rassismus gegen Weiße. Die Ausstellung wurde so nicht nur durch die Besucher*innen und Teilnehmer*innen geprägt, sondern auch von einer umfassenderen politischen Debatte, deren Spuren an verschiedenen Stellen der Ausstellung sichtbar sind. Beispielhaft hierfür ist der am Eingang der Ausstellung platzierte Text zum Thema „Respektvolle Mitarbeit“, welcher die Grundsätze des Umgangs miteinander in der Ausstellung definiert oder der Objekttext zum Thema „Rückzugsorte und Safer Spaces“ auf der zweiten Etage der Ausstellungsfläche. Dieser nimmt auf den angebotenen Rückzugsraum für People of Color Bezug und erklärt Hintergrund sowie Notwendigkeit dessen.

Auch einige Formate der Ausstellungswerkstatt haben ihren Weg in die Ausstellung gefunden: Exemplarisch hierfür ist das Aufnahmestudio, welches den Besucher*innen sowohl die Möglichkeit bietet Gedanken zum Thema (Post)Kolonialismus festzuhalten als auch die Beiträge von anderen Besucher*innen anzuhören. Des Weiteren bietet eine gestalterisch an die Ausstellungswerkstatt angelehnte Feedbackwand Raum für Anregungen und Kritik.

links: Zweite Etage des Ausstellungsraumes; rechts: Feedback-Wand auf der zweiten Etage der Ausstellungsfläche; Fotos: Victoria Wulf 2024

Besucher*innenorientierung

Die Aufteilung der ersten Etage der Ausstellungsfläche ist maßgeblich durch die thematischen Schwerpunkte festgelegt. Die einzelnen Themenbereiche sind in Räume aufgeteilt, die entweder sternförmig von der Mitte der Ausstellung aus oder über Verbindungen zwischen benachbarten Räumen erreicht werden können. Wird der Raum von der Mitte aus betreten, so werden die Besuchenden inhaltlich über eine Sounddusche in das Thema eingeführt. Die Durchgänge zwischen den benachbarten Räumen hingegen bieten keine inhaltliche Überleitung.

links: Eingang des Themenbereiches „Widerstand, Gedenken, Postkolonialismus“; rechts: Durchgang vom Themenbereich „Forschung,, Mission, Auswanderung “ hin zum Themenbereich „Alltag, Propaganda, Kontinuitäten“; Fotos: Victoria Wulf 2024

Die Aufteilung des Raumes bringt sowohl Vorteile als auch Herausforderungen für die Besucher*innen mit sich. Zum einen ermöglicht sie den Besucher*innen tief in die verschiedenen Themenbereiche einzutauchen. Jeder Raum bietet ein vielfältiges Spektrum an inhaltlichen Schwerpunkten und Formaten wie Biografien, Interviews, Videos und künstlerischen Arbeiten an, die das Thema über unterschiedliche Zugänge erschließen.

Andererseits kann die Aufteilung herausfordernd sein, da sie es Besucher*innen erschwert Parallelen und inhaltliche Überschneidungen zwischen unterschiedlichen Themenbereichen auf Anhieb ausfindig zu machen. So muss man sich Namen und Daten merken, um zu erkennen, dass ein Akteur nicht nur wirtschaftlich, sondern auch wissenschaftlich oder missionarisch tätig war.

Was den Ausstellungsmacher*innen besonders gut gelingt, ist die Besucher*innen auf sensible Inhalte und koloniale Kontinuitäten aufmerksam zu machen. Dies erreichen sie durch Kennzeichnungen von Inhalten mithilfe von Symbolen. Sensible Inhalte wie rassistische Darstellungen werden zudem verdeckt, sodass Besucher*innen selbst entscheiden können, ob sie die dahinterliegenden Darstellungen und Inhalte anschauen wollen oder nicht.

Symbol für Content Warning sowie inhaltlicher Hinweis; Foto: Victoria Wulf 2024

Zurück zur Ausgangsfrage

Die Ausstellung endet an dem Punkt, an dem sie beginnt – mit der Frage: Was hat Kolonialismus mit den Menschen in Westfalen zu tun? Ein schöner Abschluss für die Ausstellung, da sie genau diese Frage unter verschiedenen Gesichtspunkten und mithilfe unterschiedlicher Formate beleuchtet. Der Ausstellung gelingt es über das Lokale eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu schaffen.

„Das ist kolonial. Westfalens unsichtbares Erbe“, 14.06.2024 – 26.10.2025, LWL Museum Zeche Zollern, Dortmund

Kuratierung: Barbara Frey und Katarzyna Nogueira

Gestaltung: Prinzträger, Bochum, und Bande für Gestaltung, Dortmund

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