„Wie haben Künstlerinnen und Künstler des afrikanischen Kontinents und seiner Diaspora den Alltag in den letzten 100 Jahren erlebt und künstlerisch verarbeitet?“ Das ist die Leitfrage der aktuellen Ausstellung im Gegenwarts-Haus des Kunstmuseums Basel. Nur die erste Station auf ihrem Weg durch Europa, präsentiert die im südafrikanischen Kapstadt entwickelten Schau 160 Werke von rund 120 Künstler:innen aus privaten und öffentlichen Sammlungen in den großzügigen Räumen auf vier Etagen.
Die Sonderschau führt ein „Kaleidoskop“ panafrikanischer Figuration vor und will Künstler:innen von Botsuana bis Haiti erstmals auch in Europa namentlich bekannt machen. Im Zentrum stehen nicht die Stereotypen des afrikanischen Kontinents von Not und Elend, sondern die kraftvolle und politische Dimension von Schwarzer Freude.

Eine afrikanische Schau im Herzen Europas
Das Zeitz Museum of Contemporary Art Africa (Zeitz MOCAA) in einem ehemaligen Getreidesilo im Kapstädter Werft- und Hafenviertel Victoria & Albert Waterfront ist das weltweit größte Museum für zeitgenössische afrikanische Gegenwartskunst. Entstanden im Auftrag des deutschen Sammlers Jochen Zeitz zur Präsentation seiner Privatsammlung, präsentierte das Museum die Ausstellung von November 2022 bis September 2023.
Das Team um Direktorin und leitende Kuratorin Koyo Kouoh unternahm intensive Recherchen, um eine Ausstellung zu konzipieren, die eine breite diasporische Perspektive gewährt. Der Ausstellungstitel nimmt dabei Bezug auf die Netflix-Serie „When They See Us“ über die rassistisch motivierte Vorverurteilung Afro- und Hispanoamerikanischer Teenager in einem Vergewaltigungsprozess Ende der 1980er Jahre in New York. Mit dem Austausch von „They“ zu „We“ im Titel wird die Perspektive von der Fremd- auf die Eigenwahrnehmung gelegt.
In sechs Kapiteln, beginnend mit „Triumph und Emanzipation“, über „Spiritualität“, „Sinnlichkeit“, „Alltag“, „Freude und Ausgelassenheit“ hin zu „Ruhe“, wird aus der panafrikanischen Lebenswelt erzählt. Dabei ist besonders aufschlussreich, dass die Schau nicht chronologisch, oder nach Nationen geordnet ist. Weil nach Themen zusammengetragen, können mit den Werken seit den 1920er Jahren Gemeinsamkeiten nachspürt werden – jedoch bewusst nicht tragische Stereotypen, sondern im Hinblick auf panafrikanische, Schwarze Freude. Dazu trägt stimmungsvoll der Soundtrack der Ausstellung in Soundstationen bei. Mit Afro-Pop-Rhythmen von Wanlov the Kubolor oder äthiopischen-orthodoxen Mezmur wird auch musikalisch die ganze Bandbreite panafrikanischer Kultur fühlbar.

Eine Geschichte von Freude, Stolz und Errungenschaften
Das Aufgebot ist beeindruckend. Auch über Afrika hinaus bekannt Namen wie Michael Armitage (1984, letztes Jahr groß im Kunsthaus Bregenz gefeiert), Amy Sherald (1973) und Kehinde Wiley (1977) stehen zusammen mit in Europa weniger bekannten, gleichwohl durchaus erfolgreichen wie Njideka Akunyili Crosby (1983), die u.a. von der David Zwirner Gallery repräsentiert wird.

Die Schwarze Selbstrepräsentation ist seit einigen Jahren präsent im Kunstdiskurs und auf dem Markt, aber eine vergleichbare, zumal institutionelle Ausstellung stand bislang aus. Der Fokus auf (geteilte) Freude steht insgesamt im Kontext eines neue Bewusstseins Schwarzer Geschichte, die nicht nur aus Traumata bestünde, sondern auf eine reiche, stolze Vergangenheit verweist. „Hier werden wir daran erinnert, dass wir von einem Kontinent der König:innen stammen. Immerhin haben wir die Pyramiden gebaut.“, liest es sich im Eingangstext zum ersten Kapitel. Das Positive in der panafrikanischen Geschichte zu sehen, ist Ziel der Ausstellung. Im Erdgeschoss empfangen uns Werke wie das Gemälde „Obama Revolution“ (2009) des in der Demokratischen Republik Kongo geborenen Chéri Chérin, dass die panafrikanische Bedeutung dieses US-amerikanischen Ereignisses anzeigt.
Kein Voyeurismus
Eine Etage höher werden uns die Themen „Sinnlichkeit“ und „Spiritualität“ präsentiert. Der Jahrhunderte langen Fetischisierung von Schwarzen Körpern werden hier intime Einblicke und selbstbewusste Darstellungen entgegengesetzt, „wie sie der westliche Bilderkanon kaum je zugelassen hat.“ In der Beschäftigung mit an europäischer Kunstgeschichte angelehnte Darstellungsmodi wie das Motiv der liegenden Nackten, besonders in der direkten Auseinandersetzung mit bestehenden Werken, u.a. bei Roméo Mivekannin (*1986, Elfenbeinküste), wird die Umkehr offensichtlich.

Werke des Kenianisch-Britischen Malers Michael Armitage oder der 1988 in Mosambik geborenen Cassi Namoda werden unter „Spiritualität“ gezeigt und stehen für eine sehr gegensätzlichen Auseinandersetzung mit dem „dreifachen Erbe“ (Ali Mazrui) aus afrikanisch-animistischen, islamischen sowie christlichen Traditionen und Ritualen. Die großformatige Arbeit des Haitianers Edouard Duval-Carrié (*1954) nimmt sich den mythischen Wassergeistern an, verdichtet diese in seinem Werk jedoch mit historischen Darstellungen von Sklaverei und rassistischem Terror.
Auf selber Etage verweist eine große Chronologie auf Ereignisse im politischen und kulturellen Sinne von um 1800 bis ins Heute. Sehr interessant und es sei, nicht nur für Freund:innen historischer Daten; empfohlen sich die Zeit zunehmen. Anhand der vielen Daten und Ereignisse wird annährend der Umfang der Recherche ersichtlich.
Von Alltag, Freude und Ruhe
Auf der dritten Etage wird es ausgelassen: Musik und Tanz bestimmen viele der hier gezeigten Bilder und verweisen auf die vielen Momente des Feierns, denn „für ein Lied oder Tanz bleibt immer Zeit“, so die Kuratorinnen. Nur subtil kommt gerade in diesen Bildern dann aber doch die für die Ausstellung negierte Tragik auf: Trunkenheit und Gewalt, politische Verfolgung und systemische Unterdrückung. Das Geburtstagsbilder für den 1977 in Folter gestorbenen Widerstandskämpfer Steve Biko stellt zwar die Freude in den Vordergrund. Aber der Malcolm X-Button gibt Hinweis auf die grausame Seite dieser Hommage.

Einen gelungenen Eingriff stellen die in die Ausstellung zum „Alltag“ integrierten „außerkünstlerischen“ Bildwerke dar. Jene Werke, die vor Dekaden als lokale Werbereklame entstanden oder aber eher private, fast naive Arbeiten darstellen. Diese ermöglichen einen vielschichtigen Einblick in das Alltagsleben der hier repräsentierten Diaspora, die vom Pazifik bis zum Indischen Ozean reicht.

Als Abschluss der Ausstellung stehen uns im Kapitel „Ruhe“ stoisch blickende Männer und Frauen gegenüber, räkeln sich in Entspannung auf dem Sofa, oder sind in vertraute Gespräche versunken. Ebenso wie das erste Kapitel über Stolz auf die errungene eigene Geschichte dient dieser Abschluss symbolisch einem neuen Bewusstsein. Ein Kreis schließt sich.
Fazit
Künstler wie der US-Amerikaner Kehinde Wiley haben ihre Karrieren darauf aufgebaut, Bilder unerzählter Schwarzer Geschichten zu schaffen. In dieser Ausstellung zeigt sich jedoch, dass es diese Bilder seit 100 Jahren durchaus gegeben hat – bisher bekam man sie in Europa nur nicht so und in dieser Fülle zu sehen.
Die Ausstellung ist ein spannender Blick auf die Vielfalt des Panafrikanismus, seine Kulturen und Geschichten. Die umfassende Chronologie gibt wichtige Verweise und für viele Besucher:innen wohl erstmals konkrete Infos zu etlichen Geschehnissen der letzten 100 Jahre.

Die Objektbeschreibungen beinhalten kurze Infos zu dargestellten Orten oder Personen, nichtsdestotrotz beschränken sich diese. Daher ist der Audioguide zur Ausstellung zu empfehlen, der den benötigten zeitgeschichtlichen Hintergrund zu den Werken bietet.
Das eigens designte Studio auf der untersten Etage des Gegenwarts-Hauses fungiert als Gemeinschaftsraum. Hier finden sich auch spezielle Bücher zum Thema, so z.B. auch das Kinderbuch „Little Leader“, das besondere Geschichten von Schwarzen Heldinnen erzählt. Für die Zeit der Ausstellung finden hier auch Veranstaltungen wie Konzerte, Lesungen, Performances und Workshops statt.
Die Ausstellung beschert uns hervorragende Kunst, führt den Stilreichtum in der zeitgenössischen Kunst Afrikas und der afrikanischen Diaspora vor Augen und liefert Einblicke in eine 100jährige Geschichte, die enorme Erfolge verzeichnet hat. Endlich. Und gleiches lässt sich auch darüber sagen, dass es diese Ausstellung nun in Europa zu sehen gibt.
„When We See Us – Hundert Jahre panafrikanische figurative Malerei“ 25.5.24 bis 27.10.24 im Kunstmuseum Basel
Kuratierung: Koyo Kouoh und Tandanzani Dhlakama
Musikkuration: Neo Muyanga
Bearbeitung für das Kunstmuseum Basel: Anita Haldemann, Daniel Kurjakovic und Maja Wismer
Gestaltung: Wolff Architecture, Kapstadt



















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