Von afrikanischen Höflingen in Sachsen und sächsischen Missionaren in Afrika: Die Ausstellung „Augusts Afrika – Afrika in Sachsen, Sachsen in Afrika im 18. Jahrhundert“ – von Anna Preußinger

Anmerkung des Herausgeberteams: Normalerweise beziehen sich die Rezensionen auf laufende Ausstellungen. Wir haben hier eine Ausnahme gemacht, weil das Thema von besonderer Bedeutung ist – auch über die konkrete Ausstellung hinaus.

Eine der Ausstellungen zum viel diskutierten Themenkomplex Kolonialismus war die Sonderausstellung „Augusts Afrika – Afrika in Sachsen, Sachsen in Afrika im 18. Jahrhundert“. Die Staatlichen Schlösser, Burgen und Gärten Sachsens (Schlösserland Sachsen) zeigten die Ausstellung von Juni bis Oktober 2022 sowie von Mai bis Oktober 2023 in Schloss Moritzburg, nahe Dresden. Schon der Titel enthält viele Anspielungen. Er verweist auf die gegenseitigen Einflüsse zwischen beiden Gebieten, ja geradezu einen wechselseitigen Kulturtransfer. Außerdem lässt er einen besonderen thematischen Zuschnitt der Ausstellung erahnen: Sachsen unter der Herrschaft August des Starken und seine Orientierung auf den afrikanischen Kontinent vor dem Hintergrund des europäischen Kolonialismus. Der folgende Artikel fragt nach der Umsetzung der im Titel angekündigten Ausstellungsthematik.

Foto: Anna Preußinger, 2023

Intervention im Märchenschloss

Schloss Moritzburg spiegelt ein romantisiertes Bild einer vermeintlich glanzvollen Epoche des Augusteischen Barocks wider. Das Prunkschloss ist inmitten einer riesigen Parkanlage auf eine Wasserinsel als hochbarocke Vierflügelanlage gebaut. Es scheint noch heute dem verherrlichten Bild von Magnifizenz und Universalherrschaft der sächsisch-wettinischen Fürsten gerecht werden zu wollen. In den Jahren zwischen 1542 und 1546 im Auftrag von dem Herzog und späteren Kurfürsten Moritz von Sachsen gebaut, und 1703 unter Kurfürst August II. (August dem Starken) zum Jagd- und Lustschloss umgebaut, wird das Schloss von einer breiten Öffentlichkeit heute als märchenhafter Sehnsuchtsort wahrgenommen. Es diente tatsächlich als Filmkulisse für „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ (1972). Das gleichnamige jährliche Ausstellungsevent gehört zu einem umfassenden kulturtouristischen Marketingprogramm. Hier werden Klischees einer Märchenwelt à la Hollywood bedient. Dazu passt eine Inneneinrichtung, mit deren Hilfe Geschichte erlebt werden soll: Die mit Jagdtrophäen und historischen Prunk- und Lackmöbeln geschmückten Räume suggerieren ein authentisches Erlebnis der frühneuzeitlichen Hofkultur. So tradiert sich das symbolische Kapital der sächsischen (Kur-)Fürsten bis heute. Es prägt auch bei der mit viel Fachkenntnis konzipierten Sonderausstellung „Augusts Afrika“ die Wahrnehmung.

Die Symbolik des Orts gab also den Rahmen für die drei Themencluster der Ausstellung: Orientmode am sächsischen Hof, Augusts Forschungsexpeditionen und christliche Mission in Afrika. Der Rundgang führte durch sieben historische Schlossräume: Besonders in den ersten beiden Themenabschnitten war es den Ausstellungsmachern offenbar wichtig, August II. als bedeutenden Vertreter sächsischer Geschichte ins Zentrum zu rücken. Die schiere Menge seiner ehemals mit dem Label „Afrika“ versehenen Sammlungsstücke und Bilder auf engstem Raum verdeutlichte die Strategie der höfischen Repräsentation. Hierzu gehörte ein Prunkschild aus der Werkstatt Johann Melchior Dinglingers, das 1709 bei einem Fest der vier Erdteile in der Aufführung der „Afrikanischen Quadrille“ verwendet wurde. Gemälde und Zeichnungen, unter anderem von Johann Adolph Pöppelmann, Johann August Milsauer und Johann Mock, zeigten eine bunte Afrika-Mode auf Kostümbällen und weiteren theatralischen Veranstaltungen des Dresdner Barocks. Auf einigen Zeichnungen in Form lebensgroßer Wandbilder posierte August der Starke, historischen Quellen nach als „Chef der Afrikaner“.

Fotos: Anna Preußinger, 2023

Grafische Darstellungen und plastische Figuren aus Meißner Porzellan präsentieren noch heute das damalige Bild eines als exotisch und fremd verstandenen Afrikas. Gerade in dieser Funktion spiegelten sie symbolhaft den universalen Herrschaftskult unter August des Starken wider. Der Themenraum zu Augusts Nordafrika-Expedition (Libyen, Tunesien) von 1731 bis 1733 vereinigte historische Quellenberichte, architektonische Ansichten und Pläne mit beispielhaften Exponaten der daraus hervorgegangen tier- und pflanzenkundlichen Sammlung.

Foto: Anna Preußinger, 2023

Das Konzept, die bunte Orientmode im authentischen Rahmen des Augusteischen Prunks nachempfinden zu lassen, hätte rassismuskritische Fragen in den Hintergrund drängen können. Dem konnte das Kuratorenteam durch Hilfe von außen vorbeugen: Die beiden externen Politikwissenschaftlerinnen YJ und Karimé Diallo ordneten „Augusts Afrika“ kritisch ein. Ihre Texte fanden sich auf Aufstellern im Raum. Sie erläuterten klug und verständlich die Denkmuster, Sprechweisen und Vorurteile einer Begriffs- und Ideenwelt des Kolonialismus. Das sorgte für einen Bezug der historischen Exponate zu postkolonialen Perspektiven auf die Hofkultur und ermöglichte gleichzeitig ein Hinterfragen des herrschaftlich-historischen Settings. Zusätzlich gaben die in den Räumen angebrachten raumhohen Vorhänge einzelne Kernaussagen der aufgestellten kritischen Interventionstexte wieder.

Als Beispiel für die Umsetzung der Intervention sei die Eingangssituation geschildert: Der Blick fiel zunächst auf eine barocke Lindenholzskulptur eines „Afrikaners“ von 1720 aus den Städtischen Museen Zittau. Davor stand ein Aufsteller, der als eine sogenannte Trigger-Warnung die „Dringlichkeit eines Perspektivwechsels“ einforderte. Der Text machte darauf aufmerksam, dass die folgenden Räume „reproduzierte gewaltvolle rassistische Sprache und Inhalte sowie andere Formen der Menschenfeindlichkeit“ enthielten. Er informierte die Besuchenden auch über die beim Sehen von Bildern mit Schwarzen Personen1 immanenten Machtasymmetrien eines historisch tradierten weißen Blicks. Daneben wurde in zwei weiteren Wandtexten die Verwendung des Begriffs „Mohr“ problematisiert und auf die Schwierigkeiten einer rückblickenden Bewertung von historischen Darstellungen von als „schwarz“ gelesenen Personen hingewiesen. Gerade durch den aufgezeigten Zusammenhang mit der aufgestellten Skulptur waren die Besuchenden bereits zu Beginn des Rundgangs dazu angehalten, sich selbstkritisch zu positionieren.

Fotos: Anna Preußinger, 2023

Der sächsische Traum von Afrika versus afrikanisch-sächsische Lebensrealitäten

Neben den Interventionen setzte die die Ausstellung auch auf die Einbindung der zuvor recherchierten Biografien: Über 80 Schwarze Personen lebten zwischen 1602 und 1770 am Kursächsischen Hof. Die bis heute im öffentlichen Verständnis vorherrschende problematische Verkürzung ihrer Identität in einem stereotypischen Bild von aus Afrika verschleppten Menschen wurde von den Ausstellungsmachern nicht übernommen. Stattdessen zeigten Video-Reenactments die imaginierten Berichte von zwei der historisch belegten Schwarzen sächsischen Höflingen, die die Vielseitigkeit sowie Widersprüchlichkeit ihrer Lebensumstände erkennen ließen. Andreas Mirtil (1682 – 1748), der persönliche Kammerdiener August des Starken, erzählte wie er und seine Frau Friederike Mariaux in ihrem vom Kurfürsten persönlich als Schenkung vermachten Haus eine weiße Dienerin aus Paris beschäftigten. In ähnlicher Weise ergreifend berichtete Maria Dorothea Untenzu, wie ihr die Heirat mit dem Pauker Johann Georg Mohr den erhofften Aufstieg in der adeligen Rangabfolge einbrachte. Sie und ihr Mann knüpften während der Gottesdienste in der Schlosskirche enge Kontakte mit der mehrheitlich weißen höfischen Elite. Und trotzdem, so erfuhr man in den als Zeitzeugenberichten konzipierten Videosequenzen, waren sowohl Mirtil als auch Untenzu außerhalb des Hofes rassistischer Diskriminierung ausgesetzt und fühlten sich innerhalb jener schützenden höfischen Sphäre als „Requisit des höfischen Lebens ohne Identität“. Außerdem wurde der ehemals versklavte Philosoph Anton Wilhelm Amo (ca. 1703 – ca. 1753) vorgestellt, der am Hof des Herzogs von Wolfenbüttel lebte. Amo verfasste das erste Werk zur rechtlichen Lage versklavter Afrikaner und Afrikanerinnen in der europäischen Gesellschaft. Ein Zitat, ein Interventionstext und die begleitende Geräuschkulisse von Kettenrasseln genügten für ein eindrucksvolles Stimmungsbild. Es verdeutlichte die wechselseitige Beziehung zwischen dem transatlantischen Sklavenhandel und dem Kult „Afrika“-bezogener Exotismen an zentraleuropäischen Fürstenhöfen. Insgesamt zeichneten die ausgewählten Persönlichkeiten aus der sächsisch-afrikanischen Diaspora das komplexe Bild einer kulturell breit gefassten und dennoch von einem tiefsitzenden Rassismus durchzogenen Hofkultur.

Fotos: Anna Preußinger, 2023

Die Herrnhuter in Augusts Afrika

Inmitten des historischen Barockbaus Schloss Moritzburg schlug die Ausstellung an dieser Stelle einen thematischen Bogen zur Missionstätigkeit der Herrnhuter Kirche in Südafrika. Die Herrnhuter, eine pietistische Glaubensgemeinschaft aus Sachsen, waren im 18. Jahrhundert eine der ersten europäischen Missionsbewegungen, die sich in Afrika engagierten. Unter dem Label „Sachsen in Afrika“ wurde diese Geschichte von einer Reihe von Objekten und Dokumenten illustriert, darunter erneut fiktive historische Berichte, Drucke, eine Landkarte und Objekte der im westlichen Südafrika lebenden Khoikhoi aus dem Völkerkundemuseum Herrnhut.

Fotos: Anna Preußinger, 2023

Leider enthielt die Darstellung der Herrnhuter Missionierung Leerstellen und problematische Positionen. So wurden die missionarischen Bemühungen als zivilisatorischer und humanitärer Beitrag dargestellt, und die Problematik der Missionsarbeit und ihre Verstrickung in koloniale Strukturen und Machtverhältnisse kam zu kurz. Die Raumtexte romantisierten teilweise die Missionstätigkeit und vernachlässigten die negativen Auswirkungen auf die afrikanische Bevölkerung und Kultur. So fehlten bei der Wiedergabe der Gründungslegende Genadendals (ab 1806 „Bavianskloof“) Hinweise auf die unfreiwillige Übernahme des christlichen Glaubens eines Großteils der Lokalbevölkerung. Hier wurde äußerst affirmativ wiedergegeben, wie 1738 ein Birnbaum vom Gründungsvater der Herrnhuter an dem Ort Genadental gepflanzt und 1792 mitsamt einer missionierten Frau aus dem südafrikanischen Stamm der Khoikhoi wiedergefunden wurde.

Verschiedene Graphiken stellten im Stil der kolonialzeitlichen Bildpropaganda Personen, Einrichtungen und Ansichten mit einem Bezug zur Herrnhuter Missionssiedlung Genadendal dar. Sie hätten der kritischen historischen Einordnung bedurft. Besonders gilt das für die rituellen Objekte der Khoikhoi, die in Zusammenhang mit der Vergangenheit der Herrnhuter Prediger gezeigt wurden. Vermutlich gehörten diese Dinge einmal ebenjenen Khoikhoi, die der christlichen Zivilisationsmission der Herrnhuter Brüdergemeinschaft ausgesetzt waren. Heute befinden sie sich im Besitz der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsens. Eine kontextualisierte thematische Einbindung der Objekte hätte auch die aktuelle Forschungsfrage mitaufnehmen können, inwieweit Missionare an den kolonialen Raub- und Zerstörungsaktionen indigener Kunst- und Kulturobjekte und an der Bildung heutiger europäischer Sammlungen beteiligt waren.

Fazit

Der Grund für die idealisierte Darstellung der sächsisch-protestantischen Herrnhuter in Afrika bleibt wohl ebenso offen wie die Frage, warum sie überhaupt in die Ausstellung aufgenommen werden mussten. Demgegenüber fügten sich das Afrikabild und die Afrikamode im Augusteischen Barock sowie die Frage nach den realen Lebensumständen afrodeutscher Hofbediensteter stimmig ein – und kamen zudem zeitaktuellen Forschungsfragen nach.

Wie für viele Schlossmuseen gilt für Schloss Moritzburg, dass der Ort eine symbolische Landmarke in der Geschichte des einstigen Fürstentums ist. Damit ging bei „Augusts Afrika“ die Problematik einer möglichen Reproduktion eurozentrischer Wissenskategorien einher. Zwei konzeptionelle Strategien entschärften hierbei die kritische Ausgangssituation des symbolischen Ortes Schloss Moritzburg. Erstens ermöglichten die Intervention und der damit geleistete Wissenstransfer aus den postkolonialen Studien den thematisch angemessenen Tiefgang wissenschaftlicher Reflexion. Zweitens brachen die einbezogenen historischen Perspektiven in sichtbarerer und damit gewinnbringender Form die repräsentierten Exotismen und ritualisierten Herrschaftsformen rund um August den Starken auf. Mehr noch: Der biografische Zugang einstmals marginalisierter Perspektiven wies das im Setting vorbedingte verklärte Bild von kursächsischem Prunk und Gloria zurück in die Schranken einer fundierten historischen Betrachtungsweise.

„Augusts Afrika“ in Schloss Moritzburg könnte damit ein Exempel für den Kulturbetrieb an Schlossmuseen setzen und veranschaulichte das Potential von Ausstellungen, marginalisierte Stimmen im europäischen Geschichtsbild sichtbar zu machen.

Ausstellung: „Augusts Afrika – Afrika in Sachsen, Sachsen in Afrika im 18. Jahrhundert“

Laufzeit: Juni bis Oktober 2022 sowie von Mai bis Oktober 2023, Schloss Moritzburg

Kuratierung: Dr. Matthias Donath, Dr. Lars-Arne Dannenberg (Zentrum für Kultur // Geschichte), Margitta Hensel (Staatliche Schlösser, Burgen und Gärten Sachsen gGmbH); Projektleitung Dr. André Thieme.

Gestaltung: Antje Werner und Anja Maria Eisen

  1. Die Autorin verwendet die Begriffe „Schwarz“ bzw. „weiß“ nicht in Bezug auf eine bestimmte ethnische Gruppe oder Hautfarbe, sondern als Bezeichnungen für eine gesellschaftlich konstruierte Zuordnung bzw. eine gesellschaftspolitische Norm, und im Falle von „Schwarz“ als durch die Erfahrungen von Rassismus beschriebene gesellschaftliche Position und Selbstbezeichnung der Betroffenen, worauf die verwendeten Schreibweisen verweisen. (Siehe https://glossar.neuemedienmacher.de/glossar/schwarze-menschen-schwarzer/ bzw. https://glossar.neuemedienmacher.de/glossar/weisse-deutsche/, Stand 16.06.2024). ↩︎

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