Museo Scienza e Tecnologia in Mailand – von Nicole Guether

Viele Technikmuseen auf der ganzen Welt verfolgen die Mission, die menschlichen Errungenschaften in der Technik vor Augen zu führen, die unser Leben erleichtert haben, die Welt schneller ticken lassen, aber auch neue Herausforderungen bereiten.

Und war auch das erste seiner Art das Pariser Musée des Arts et Métiers bereits von 1794, so ist die Idee der Technikausstellung grundsätzlich hervorgegangen aus den internationale Leistungsschauen der Großen Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts. Es folgten 1857 London, 1874 Berlin (das 1983 wiedereröffnete Deutsche Technikmuseum) und 1903 München, Wien zog wenig später nach usw. usf. Der Idee nach entstammen sie der Ära des Imperialismus, in der jede Nation ihre Grandiosität und Suprematie vorführen wollte. Auch das Mailänder Museum findet seinen Ursprung in dem Verlangen danach, die eigene Fortschrittlichkeit und Vormachtstellung unter Beweis zu stellen. Und so fielen erste Pläne zu diesem Museum bereits mit der Ausrichtung der Weltausstellung von 1906 zusammen.

Italiens Industriemetropole Mailand als logischer Standort

Mailand wurde im frisch geschaffenen Königreich Italien schnell zum industriellen Zentrum. Dank seiner günstigen Verkehrsverbindungen nach Norden siedelten sich unzählige Fabriken an, die den Weg für Mailands vielfältige Industrie bereiteten. Und doch eröffnete das Mailänder Technikmuseum, dessen voller Name Museo nazionale della scienza e della tecnologia Leonardo da Vinci lautet, erst 1953. Das frühe Vorhaben konnte 1930 mit der Bildung einer Kommission unter der faschistischen Regierung Benito Mussolinis erstmals reifen, musste aber den Krieg abwarten. Mit dem Erwerb des ehemalige Klosters San Vittore al Corpo als Museumsbau zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das Projekt eines Mailänder Technikmuseums endlich verwirklicht.

Wie das Pariser Musée des Arts et Métiers ist das Mailänder Museum in einem ehemaligen Ordenskonvent eingerichtet, was im säkularen Zeitalter durchaus von einiger symbolischer Kraft zeugt: Der Technikglaube als moderne Religion und die Technik, ergo: der Mensch, als neuer Gott.

Und welche passendere Gestalt könnte sich das Mailänder Museum als Patron wählen als den großen Humanisten, Künstler, Universalgelehrten und Tüftler Leonardo da Vinci, der einen großen Teil seines erfindungsreichen Lebens in Mailand in den Diensten des Herrschaftsgeschlechts der Sforza verbrachte? Die Eröffnung wurde denn auch mit einer großen Ausstellung dem Namenspatron zu Ehren abgehalten und bis heute rühmt sich das Museum Hort der weltweit größten da Vinci-Sammlung zu sein.

Galleria Leonardo da Vinci

Gewissermaßen als Einstieg in die Thematik wird im obersten Geschoss des Hauptbaues in der Galleria Leonardo da Vinci ein umfassender Überblick auf den Mann und sein vielfältiges Werk als Ingenieur und Naturforscher geboten. Insgesamt 170 Schauobjekte historischer (moderner) Modelle seiner mechanischen Innovationen, solche der Kriegs- wie der Ingenieurskunst, architektonische Beiträge sowie Kopien seiner Zeichnungen und Malerei, die Leonardo die höchste aller Wissenschaft war, belegen nicht nur das Genie, sondern setzten Bezugspunkte auch für unsere späteren Erkundungen im Haus.

Fotos: Nicole Guether 2023

In den Seitengalerien werden Leonardos vielfältige Beschäftigungsfelder vorgeführt. Die ausgestellten Zeichnungen (allesamt Faksimiles) belegen die Verbindung von Naturbeobachtungen und mechanischen Überlegungen Leonardos.

Leider ist die Lesbarkeit der erklärenden Objekttexte im erhabenen Chiaroscuro der Räume dermaßen beeinträchtigt, dass es wenig Vergnügen bereitet sie zu lesen – besonders, da die englischen Übersetzungen in grauer Schrift auf schwarzem Grund gesetzt sind. Gerade für Menschen mit eingeschränkter Sehkraft wird es kaum möglich sein, sie zu erkennen, zumal man sich mit heruntergeführtem Kopf noch das letzte vorhandene Licht selbst versperrt. Hier wurde mehr auf Wirkung denn auf Nutzbarkeit geachtet.

Von der Mechanik der Renaissance bis zu den Raketen des Weltraumzeitalters

Der Hauptraum der Leonardo-da-Vinci-Galerie führt vom Aufgang linker Hand in eine architektonische Kulisse – typisch für das Zeitalter der Renaissance. In Nischen eingelassene Videodisplays zeigen Aufnahmen von in historischen Kostümen gekleideten „Zeitgenossen“, die über Lautsprecher (auf Italienisch) hörbar von Leonardo berichten. Die englischen Untertitel verlaufen derart weit unten am Monitorrand, dass auch hier die Lesbarkeit deutlich beeinträchtigt ist.

Auf der rechten Seite des Hauptraums führen Modelle von Leonardos Fluggeräten, seine instrumenti, langsam über in die angrenzenden Bereiche dieser Ebene, die uns schließlich in das Zeitalter der Raumfahrt bringen.

Leonardo da Vinci wird uns auf diese Weise als Urvater aller Ingenieure und erfindungsreicher Bastler vorgestellt. Seine Träume vom zu seiner Zeit noch Unmöglichen kamen vielfach erst Jahrhunderte nach seinem Tod zur Ausführung und sind gerade deshalb umso erstaunlichere Belege für die menschliche Vorstellungskraft.

Sehen wir auch fast ausschließlich Kopien der heute in London, München, Paris und andernorts aufbewahrten Originale und mangelt es auch vereinzelt an Benutzerfreundlichkeit, werden die vielen Digitalisate und animierten Zeichnungen doch anschaulich präsentiert. Besonders Kinder erfreuten sich an ihnen. Oder gilt diese Erkundungsfreude allein den vielen bewegten Bildern?

Die Modelle verweisen letztlich auch auf die seit Jahrhunderten ungebrochene Faszination für den idealen Renaissancemeister. In der Gegenüberstellung dieser Jahrhunderte später geschaffenen Objekte und der technisch aufwendig animierten Zeichnungen werden die Funktionsweisen anschaulich vorgeführt. Und wer aufmerksam durch die Ausstellung geht, wird bemerken, dass die vorgeführten Erfindungen Leonardos wie ein roter Faden durch die gesamte, mehrere Jahrhunderte überspannende Sammlung weisen.

Erschwerte Orientierung

Das Hauptgebäude in einem ehemaligen Benediktinerkonvent, der unter Napoleon säkularisiert und in ein Militärkrankenhaus umfunktioniert wurde, folgt einem quadratischen Grundriss um zwei Innenhöfe. Einschließlich des Außenbereichs und einer Außenhalle umfasst die Ausstellung insgesamt die enorme Fläche von 50.000 m².

Auf die Galleria Leonardo da Vinci folgen in nicht chronologischem Ablauf und im Gebäude absteigend sechs Abteilungen zu den Thematiken Weltraum, Kommunikation, Energie, Materialwissenschaft und Werkstofftechnik, Kunst und Wissenschaft, Ernährung und Verkehr, wobei dieser Bereich mit dem Schwerpunkt auf Schiff- und Luftfahrt separiert in der Außenhalle untergebracht ist.

Allerdings ist die Orientierung im Museum außerordentlich verwirrend. Fast labyrinthartig führen die Wege durch die vollen Gänge zu immer neuen Themen, die sich obendrein nicht sofort erschließen, da deutlich beschriftete Tafeln fehlen. Und auch die am Eingang in mehreren Sprachen – allerdings nicht in Deutsch – erhältlichen Karten sind wenig hilfreich, da diese nicht zu den Hauptthemenfeldern führen, sondern zu 20 Highlights – also querbeet durch die Themen und über die 50.000 m² große Fläche.

Auf diese Weise werden die auf der Homepage herausgehobenen Thematiken vor Ort selbst nicht ausreichend sichtbar. Zum Beispiel gilt das für „The Life-Cycle of Products“ als Teil der permanenten Ausstellung. Es war eine regelrechte Schnitzeljagd und selbst befragte Angestellte wusste nicht, wonach wir suchten. Denn da diese Abteilung über keine Highlight-Exponate verfügt, bleibt sie auf der Karte schlichtweg unauffindbar.

„The Life-Cycle of Products“

Dieser Bereich, wohl gemerkt als Teil der Dauerausstellung auf der Homepage deutlich hervorgehoben, ist räumlich jedoch sträflich ins Abseits gedrängt. Auf der untersten Ebene des Hauptgebäudes, im wirklich hintersten Eck und auf sehr kleiner Fläche in eine Korridorsituation verbannt, wird diese zukünftig gleichwohl noch bedeutendere Thematik über unseren Umgang mit Umwelt belastenden Ressourcen in ihrer Bedeutung in keiner Weise gerecht! Hier zeigt sich einmal mehr: Wenn keine spektakulären Exponate zu zeigen sind, dann bemüht man sich bei der Präsentation gleich deutlich weniger.

Foto: Nicole Guether 2023

Dabei soll hier der Lebenszyklus von Alltagsgegenständen von der Entwurfsphase, über Herstellung bis zum langen Nachleben nach dem Gebrauch aufklärend erzählt werden, was an einzelnen Stationen auch gut gelingt. Über Fragen werden wir angeregt unser eigenes Verhalten zu überdenken und erfahren erstaunliche statistische Fakten. Gerade den Themen Nachhaltigkeit sowie Müllproduktion sind verschiedene Stationen gewidmet. Auch die Entwicklung der Müllentsorgung wird knapp anhand historischer Geräte nachgezeichnet (und auch hierzu hatte Leonardo schon als einer der ersten Lösungen erdacht!).

Die Sektion vermag es die Besucher:innen über Fragen anzusprechen und auf persönlicher Ebene einzubinden. Besonders schön war unsere Beobachtung, wie eine Mutter eine Station nutzte, um ihren Kindern die Wichtigkeit des eigenen Verhaltens zu erklären. Der Ausbau dieser Sektion wäre wünschenswert ebenso ein angemessenerer Standort, der die Wichtigkeit auch räumlich würdigt.

Highlights der Technik

Wer sich am Anfang eine Karte mitnimmt, der kann die kompletten 16.000 Exponate in knapp zwei Stunden hinter sich lassen, indem man sich auf 20 Highlights konzentriert. Dazu gehört zum Beispiel ein Stück Mondgestein von der vorerst letzten bemannten Mondmission, das Richard Nixon dem Museum 1973 stiftete, oder das erste in Italien nach dem Zweiten Weltkrieg gebaute U-Boot „Enrico Toti“. Das 1:1-Modell der ersten Vega-Trägerrakete der Europäischen Weltraumorganisation ist im Außenbereich des Museums bereits von weithin sichtbar.

Ein bedeutendes Exponat ist auch der Experimental-Hubschrauber von Enrico Forlani von 1877. Es war das erste Objekt, das mittels eines Motors in die Luft aufsteigen konnte – immerhin ganze 20 Sekunden bei der ersten Vorführung in Mailand. Eindrucksvoll findet sich ein ganzes Segelschiff, der Ebe Schooner von 1921, in der Halle des Erweiterungsbaus von 1964. Es handelt sich um eines der größten Schiffe, das in einem Museum ausgestellt ist (die Halle wurde gar eigens um das Schiff gebaut).

Fotos: Nicole Guether 2023

Viele dieser Exponate verbinden sich mit besonderen historischen Ereignissen, wie dem Untergang der Titanic (in Form des ersten Drahtlosdetektors von Guglielmo Marconi), und insbesondere zur italienischen Geschichte, da der Haupfaugenmerk auf italienische Erfindungen liegt. Und damit schließt sich der Kreis zum Ursprungsgedanken von Technikmuseen.

Fazit

Insgesamt geht es dem Mailänder Technikmuseum nicht darum, die technischen Errungenschaften der Menschheit zu demonstrieren. Es wird keine gradlinige Entwicklungslinie von Erfindungen seit Leonardo geboten. Aber mit Leonardo anzusetzen ist lohnenswert, schon um aufzuzeigen, wie sehr technische Machbarkeit nicht nur vom menschlichen Verstand abhängig ist, sondern von materieller und werkstofflicher Voraussetzung.

Mit dem Schwerpunkt auf vornehmlich jene Errungenschaften, die in Italien und von Italienern entwickelt wurden, wenn auch nicht in allen Bereichen, folgt man keinem neuen Konzept, sondern jenem, aus dem die Institution Technikmuseum einst erwuchs. Dazu passt, dass technische Entwicklungen als Zeichen des Fortschritts ausschließlich positiv bewertet werden. Aber ist das heute noch so zeitgemäß? Atomtechnik, Biodiversität, Energieversorgung, umweltfreundlicher Verkehr, Weltallschrott, Künstliche Intelligenz, usw. usf. All diese Thematiken stellen uns bereits vor Schwierigkeiten, doch ist es wirklich in erster Linie die Technik, die uns bei der Lösung hilft? Der Bereich „Beauty and Fragility“ zeigt uns anhand von Satellitenbildern ein ganz anderes, weit weniger technikeuphorisches Bild: Mit der Zerstörung unseres Planeten nämlich die Schattenseiten von alledem.

Museo nazionale scienza e tecnologia Leonardo da Vinci, Mailand

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