Viel Kritik, wenig Substanz
Medial hat die Ausstellung ganz schön für Wirbel gesorgt, nachdem AfD-Politiker mit einem Video über angebliche Diskriminierung Weißer, Protestaktionen und Drohbriefe losgetreten hatten. Die Wechselausstellung, die im LWL-Museum Zeche Zollern zu sehen war, erregte landesweite Aufmerksamkeit und wurde in verschiedenen überregionalen Zeitungen, einschließlich der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Bild, behandelt.
Hintergrund war der „safer space“, ein Zeitraum, der auf freiwilliger Basis für People of Color reserviert war. Dabei sind nicht die vier der 48 Wochenstunden, die dafür gedacht waren, dass sich People of Color zurückziehen konnten, um sich offen auszutauschen, das Interessante an der Ausstellung, sondern das Mitmach-Konzept. Denn „Das ist kolonial“ war nicht bloß eine Ausstellung, es war ein Geschichtsworkshop, der 2024 erst in die eigentliche Ausstellung hineinmünden wird. Die hier erarbeiteten Inhalte wurden damit zur Grundlage für eine finale Ausstellung. So was hat es meines Wissens nach noch nicht gegeben.

Dies lässt auch den „safer space“ in einem anderen Licht erscheinen: diejenigen, die vom (post-) kolonialen Erbe besonders betroffen sind, und eine Geschichte hierzu zu erzählen haben, sollen zu Wort kommen und zum Engagement in der Ausstellung ermutigt werden. Jedoch ist der Workshop alles andere als exklusiv, ganz im Gegenteil, jeder, der etwas zum Thema beitragen will, konnte sich einbringen. Das Ziel der Kuratorinnen Dr. Barbara Frey, Katarzyna Nogueira und Julia Bursa, war es, eine stärkere partizipative und ergebnisoffene Art des Umgangs mit Geschichte zu erlauben. Die Idee ist in ihrer Radikalität genial: die Besuchenden sollten die finale Ausstellung selber mitgestalten und ihre Ideen sowie ihr Wissen teilen.

Kolonialismus, das Stiefverbrechen der Deutschen
Dabei wurde auf regionaler Ebene eine globale Entwicklung erzählt. Denn viele Orte im Ruhrgebiet und in Westfalen Lippe nehmen Bezug auf unser koloniales Erbe, von Straßennamen, über Betriebe, die in Afrika erzeugte Waren weiterverarbeitet und verkauft haben, bis hin zu Denkmälern von Kolonialherren sind zahlreiche Bezüge zu finden. Wer also kennt die Spuren des Kolonialismus besser als die Bewohner der Region?
Trotz dieser Allgegenwärtigkeit ist der Kolonialismus noch immer einer der weniger aufgearbeiteten dunklen Kapitel der deutschen Geschichte. Vielleicht weil die Kolonien nur wenige Jahrzehnte bestand hatten und das deutsche Kolonialreich im Vergleich zum britischen oder französischen Weltreich eher bescheiden wirkte, vielleicht weil die betroffenen Länder weit weg erscheinen, vielleicht auch weil die Gräueltaten der Nationalsozialisten die Verbrechen der Kolonialgeschichte des Kaiserreichs überschatteten.
Seit einiger Zeit beginnt sich diese Verdrängung und Verklärung zu verflüchtigen. In Zeitungen, Filmen, Büchern und natürlich Ausstellungen wird unter anderem auf den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts an den Herero und Nama erinnert und die deutsche Verantwortung in Afrika betont. So reiht sich die Ausstellungswerkstatt in eine kritische Auseinandersetzung mit einer deutschen Kolonialgeschichte ein, die noch immer nicht abgeschlossen scheint. Es wurden in der Ausstellung Debatten zu Raubkunst, Verbrechen, globaler Ungleichheit und Generationen Schuld oder Leid aufgegriffen und diskutiert.
Ein Hoch auf den Zettelwirrarr!
Für eine herkömmliche Ausstellung wären die Informationen und die Exponate sehr übersichtlich. In einem Raum befand sich der Empfang und einem zweiten Raum die gesamte, mit wenigen Bildern und noch weniger Exponaten bestückte Ausstellung, was anfangs zunächst ernüchternd wirkte.

Orte mit kolonialer Vergangenheit in Westfalen Lippe und speziell dem Ruhrgebiet waren auf einer Karte markiert, und wichtige Daten der Kolonialgeschichte wurden an einem Zeitstrahl aufgeführt. Einige Objekte aus den ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika waren ausgestellt, ebenso wie deutsche Kolonialpropaganda. Um darauf hinzuweisen, dass es sich hier um Propaganda handelte, die man nicht nur blind und unhinterfragt replizieren sollte, musste zur Betrachtung zunächst mechanisch eine Klappe mit Proclaimer geöffnet werden, um eine aktive Auseinandersetzung zu fördern. Darüber hinaus waren ungewöhnliche, zum Teil tragische Biografien einiger afrikastämmiger Menschen mit deutschem Bezug ausgestellt, die hinterfragten, was es heißt Deutsch und/oder Afrikaner zu sein.

Mach Mit! – Ein Museum neu gedacht
Doch der eigentliche Fokus lag nicht auf den ausgestellten Objekten, sondern dem Wust aus all den Post-Its und Anmerkungen, die die Besuchenden überall in der Ausstellung angebracht hatten. Das Konzept ist spannend und neu. Mal waren konstruktive Erweiterungen zu lesen, so zum Beispiel weitere Orte mit kolonialem Hintergrund in der Region, denen sich die Kuratorinnen noch nicht bewusst waren. Mal waren es allgemeine Ideen, Meinungen oder Gedanken zum Kolonialismus und der Ausstellung. So zum Beispiel wünsche, welche Themen vertieft in der finalen Ausstellung behandelt werden sollten und wie diese erzählt werden könnten.
Auch kontroverse und nicht „politische korrekte“ Aussagen waren zu finden und wurden nicht vom Personal entfernt, einige sind dann aber wiederum mit weiteren Post Its beklebt, in denen andere Besucher darauf eingingen: eine gesellschaftliche Diskussion wurde geführt, die das gegenwärtige kulturelle Schisma widerspiegelt.

Neben der Möglichkeit, sich schriftlich an der Ausstellung zu beteiligen, enthielt die Ausstellung auch weitere Möglichkeiten des Austausches. So nahm das Diskussionsforum mit Bühne und Sitzplätzen, den Großteil der Ausstellungsfläche ein. Hier fanden regelmäßig Workshops, Kunstaktionen und Debatten statt. Es gab zudem eine kleine Bibliothek sowie ein Konferenztisch mit bereitgestellten Büro- und Bastelmaterialen für Workshops, in denen Besuchende in Zusammenarbeit mit Künstlern und Kuratoren Ausstellungsinhalte erarbeiteten.

Ein weiterer Clou der Ausstellung war das Aufnahmestudio. In einem schallisolierten Raum befanden sich Mikrofone und ein Touchscreen, an dem sich Besuchende verbal zu Wort melden können, um ihre Geschichte zu erzählen. Dabei sind bestimmte Leitfragen und Themen vorgeschlagen, an denen sich die Besuchenden orientieren konnten. Die Aufnahmen wurden gesammelt, kuratiert und konnten dann von anderen Besuchenden angehört werden. Hier waren einige interessante Wortbeiträge, auch in gesungener Form und fremden Sprachen zu hören.
Einen Leitfaden oder klar erkennbare Gliederung, war in der Ausstellung leider nicht zu finden. Viele Themen standen lediglich nebeneinander, ohne aufeinander aufzubauen. Für ein Laienpublikum, das sich durch die Ausstellung leiten lassen will, um einen guten Überblick über den Kolonialismus zu erhalten, bot der Workshop daher wenig Mehrwert.
Zwischen Qualität und Partizipation
Die demokratische und offene Ausstellung wird seit längerem als museales Ideal angesehen. Denn nicht die Präsentation von Fakten durch den Experten zur Belehrung der ahnungs- und stimmlosen Besuchenden soll im Museen erfolgen. Der museale Raum soll zum offenen Diskurs beitragen, in dem sich Menschen mit unterschiedlichen Ansichten, Perspektiven und Wissensständen miteinander austauschen können. Ein Museum ist eben nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung, er soll auch zur politischen und gesellschaftlichen Meinungsbildung beitragen und Brücken bauen.

Der Ausstellungsworkshop „Das ist kolonial“ versuchte dies in einer neuen Radikalität umzusetzen, indem es jedem Besuchendem die Möglichkeit eröffnete, sein Wissen und seine Meinung beizutragen sowie kontrovers über die Exponate, Bilder und Informationstexte zu diskutieren.

Problematisch wird es, wenn Unwahrheiten oder Propaganda auf den Zetteln zu finden sind, was aufgrund der sich ständig wandelnden Natur der Ausstellung nicht ganz ausgeschlossen werden konnte. Die Bandbreite und Qualität der Kommentare spiegelte die Vielfalt der Besuchenden wider – von tiefgründigen Denkanstößen bis hin zu rechten Parolen. Es ist fraglich, ob der Mehrwert für die Besucher, die sich durch die Vielzahl an Zetteln arbeiteten, immer gegeben war.
In einem Workshop können auch schlechte Ideen diskutiert und verworfen werden, diese jedoch in einer Ausstellung einem allgemeinen Publikum zu präsentieren, sollte nicht passieren. Die qualitative Kuratierung und allgemeine Partizipation sind schwer unter einen Hut zu bringen, ohne bei einem dieser Ideale Abstriche zu machen. Das war die Crux an dem hybriden Charakter des Ausstellungsworkshops.
Führt dieser Ansatz also doch nur zu einem „Facebook 0.5“? In Anbetracht all der kreativen Ideen, die der Workshop hervorgebracht hat, denke ich, dass die Denkanstöße dieses spannenden Experiments seine Schattenseiten klar überwogen. Auch eine Ausstellung muss kritisch reflektiert werden, den Besuchenden sollte diese Kompetenz nicht im Vorhinein abgesprochen werden.
Kulturkampf im Museum
In Anbetracht des Ziels der Ausstellung, einen möglichst breiten Diskurs zu Rassismus und (Post-)Kolonialismus zu führen, ist all die mediale Aufmerksamkeit und die Auseinandersetzung zwischen rechts und links vielleicht genau das, was ein demokratisches Museum erreichen muss. Es eröffnet neben der Diskussionsfläche in der Ausstellung eine zweite Arena der extramusealen Auseinandersetzung mit den Themen. Dieses Experiment könnte sich als erfolgreich erweisen, wenn es Menschen dazu ermutigte, sich aktiv mit diesen wichtigen Themen auseinanderzusetzen.
Jedoch darf bezweifelt werden, ob wirklich eine qualitative Diskussion durch Anschuldigungen und Drohungen zustande kommen kann und ob nicht erneut bloß die nächste Sau medial durchs Dorf getrieben wird, um die Gemüter zu erhitzen.

Jedoch darf bezweifelt werden, ob wirklich eine qualitative Diskussion durch Anschuldigungen und Drohungen zustande kommen kann und ob nicht erneut bloß die nächste Sau medial durchs Dorf getrieben wird, um die Gemüter zu erhitzen.Zurück zu den zwei Personen, die die aufgebauschte Debatte um den „safer space“ losgetreten hatten. Denn der eigentliche Skandal ist, dass die beiden AfD-Politiker ebenfalls Teil der Versammlung des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe sind und somit mitverantwortlich für Budget und Ausrichtung der zahlreichen angeschlossenen Museen. Hier sehen wir also einen Vorgeschmack, mit welch harten Bandagen durch den wachsenden politischen Einfluss rechter Parteien auch in der Museumslandschaft in Zukunft gekämpft wird.
Fazit
Wer umfassende Informationen zum Thema Kolonialismus sucht, wurde in dieser Ausstellung eher enttäuscht. Viele Themen wurden angeschnitten, eine strukturierte Vermittlung von tiefergehenden Informationen war jedoch selten gegeben. „Das ist kolonial“ war eben keine fertige Ausstellung, wollte es auch nicht sein. Es war eine Ausstellungswerkstatt, die Ideen sammelte und eine Community bauen wollte. Sie wandte sich an Menschen, die sich gerne einbringen und Spaß an einem experimentellen Konzept haben. Ich bin gespannt auf das Ergebnis dieses Ausstellungsworkshops und auf die folgende Ausstellung im nächsten Jahr.Die Wechselausstellung „Das ist kolonial“ war bis Oktober 2023 auf der Zeche Zollern zu sehen. Im Frühjahr 2024 wird die im Workshop erarbeitete finale Ausstellung am selben Ort eröffnet werden.
„Das ist kolonial. Eine Ausstellungswerkstatt“
18.3. – 15.10.2023
Kuratierung: Barbara Frey, Julia Bursa und Katarzyna Nogueira
Anmerkung der Redaktion: Üblicherweise erscheinen die Rezensionen, so lange die Ausstellungen noch laufen, denn wir wollen den Besuch anregen. In diesem Fall weichen wir von dieser Vorgabe ab, weil uns das Thema auch über die Laufzeit der Ausstellung hinaus besonders relevant erscheint.



















Pingback: „Das ist kolonial. Westfalens unsichtbares Erbe“ im LWL Museum Zeche Zollern – von Victoria Wulf | ausstellungskritik