„Wolf Biermann – Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland“ im Deutschen Historischen Museum Berlin – von Nicole Guether

Wolf Biermanns gehört zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Literaten der Nachkriegszeit. Und doch, es wird gemunkelt, dass er am bekanntesten sei für die unfreiwillige Ausbürgerung aus der DDR vor fast einem halben Jahrhundert. Das sei verkürzt, befindet das Deutsche Historische Museum und macht den 86-jährigen zum Museumsstück in seiner großen Sonderausstellung im Pei-Bau, die die „ästhetische Seite des künstlerischen Schaffens“ vor „dem Hintergrund der besonderen Stellung, die die Kultur in der DDR einnahm“ ins Zentrum rücken möchte.

Foto: Nicole Guether, 2023

Der Rundgang durch das bewegte Leben Biermanns verläuft chronologisch, wobei sich die Ausstellungsmacher:innen um Kuratorin Monika Boll für die Raumarchitektur an den Corpus einer Gitarre angelehnt haben. In dem Schallloch, um beim Bilde zu bleiben, befindet sich eine Medienstation, an ihr können sich die Besucher:innen 21 Lieder zu Ohren führen, die eingeleitet werden mit den Stimmen ihrer Kritiker:innen, die, soweit ich überhören konnte, ihm alle sehr gewogen waren.

Fotos: Nicole Guether 2023

Die Ausstellung bezeugt alle Stationen des ereignisreichen Lebens ihres Protagonisten, das museal aufbereitet wird anhand von 280 Exponaten, vielen Leihgaben aus dem Privatarchiv Biermann sowie aus der hauseigenen Sammlung und aus Archiven, u.a. aus dem Bundesarchiv und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Foto: Nicole Guether 2023

Mittels dieser Dokumente und Zeitungsartikel, Plakate, Fotografien, historischen Audio- und Filmaufnahmen sowie persönlichen Gegenständen, soll das Leben und Werk Biermanns in die Epoche eingebettet werden, um vor dem so geschaffenen Hintergrund den künstlerischen Werdegang, die ästhetische Form seiner Lyrik und Lieder, greifbar zu machen.

Fotos: Nicole Guether 2023

Foto: Nicole Guether 2023

Mit diesem selbst gesteckten Anspruch stellt sich die Kuratorin vor zumindest eine besondere Herausforderung: Anders als in der bildenden Kunst lassen sich musikalische Werke nur bedingt ausstellen und in den räumlichen Kontext einer kulturhistorischen Schau integrieren. Dahingehend ist die Lösung in Form der Medienstation gut gewählt. Und wirklich wird hier Platz geboten, sich mit Biermanns künstlerischem Werk auseinanderzusetzen. Und was im Raum nicht ausreichend genannt werden kann hinsichtlich der „ästhetischen Seite“ seines Schaffens, wird in der begleitenden Publikation anhand von Aufsätzen geleistet.

Der Prolog: Zäsuren

Eingesetzt wird jedoch mit dem Harmonium, auf dem Biermann sein wohl berühmtestes Konzert spielte, jenes vom 13.11.1976 in Köln. Darüber, in einer Vergrößerung, die gerahmte letzte Fotografie des Vaters, Dagobert Biermann. So werden uns die zwei Lebenszäsuren gleich mitgegeben auf unseren Rundgang durch ein deutsch-deutsches Jahrhundertleben: Die Ausbürgerung aus der DDR 1976 und die Ermordung des Vaters im KZ Auschwitz.

Foto: Nicole Guether 2023

Vom Kommunistenkind zum Staatsfeind

Gibt uns der Prolog die einschneidenden Zäsuren wie als Mahner vorweg, so folgt einleitend parallel die Erzählung der Anfänge Biermanns sowie der DDR. Rechter Hand soll ein knappster Abschnitt in die Bedeutung der Kultur für die DDR einführen, die sich ausdrücklich als „Kulturnation“ gegründet habe. An dieser Stelle wird der programmatische „Bitterfelder Weg“ vorgestellt, mit dem sich die DDR die Aufgabe stellte, aus jeder „lesenden Arbeiterin“ das Ideal des „aktiven Arbeiterkünstlers“ schaffen zu wollen. D.h., jede:r wurde angehalten kulturell tätig zu sein. Vor diesem Hintergrund erscheint uns Biermann zunächst als Paradebeispiel, von dessen überzeugter kommunistischer Jugendzeit linker Hand an einigen Etappen erzählt wird.

Doch das „Kommunistenkind“ (O-Ton Biermann) sang seit seiner Entdeckung 1960 durch Hanns Eisler Lieder über einen Sozialismus, den es geben sollte (aber eben nicht gab) und sollte klagende Lyrik über das schreiben, was seiner Meinung nach alles falsch lief. Die ihm damit zukommende West-Berühmtheit bescherte ihm eine gewisse Sicherheit, brachte sie der DDR doch wichtige Devisen ein.Das führte aber zum Dilemma, dass man ihn nicht wegsperren konnte, aber im Osten auch nicht auftreten ließ. Bis heute heißt es, dass die Ausbürgerung der Anfang vom Ende der DDR war. War das Dilemma nun vorprogrammiert, oder unvorhersehbar?

Enfant Terrible par excellence

Die schlaglichtartige Beleuchtung der nachfolgenden Lebensetappen „des Biermann“, wie er selbst von sich in der dritten Person erzählt, spannt sich von da an weiter, musikalisch zumindest bis ins Jahr 2013. Wir hören an den richtigen Stellen zeitgenössische Kommentare damaliger Prominenz zur Ausbürgerung (u.a. G. Grass, R. Schneider). Wir sehen selbstgebastelte Kinderschuhe und Biermanns selbstverfasste Kindermärchen, seine bevorzugten Instrumente in einer großen Vitrine aufgestellt wie ein Altar im Chor. Wir erfahren von seinem politischen Engagement nach dem Rauswurf im „BRD-Exil“ in der Friedensbewegung (was kontrastiert zum kurzen Video, das ihn am Sterbebett seines Freundes Robert Havemann 1982 zeigt, wo er sein Anti-Pazifistisches Lied „Soldat, Soldat“ singt) und wir erfahren auch von Biermanns intensiver, lebenslanger Beschäftigung mit dem Judentum und der eigenen tragischen Familiengeschichte. Das Trauma des 20. Jahrhunderts ist bei Biermann ein persönliches.

Bild rechts zeigt in eigens für die Ausstellung geschaffenes Holocaust-Mahnmal, das sich an jenes in Biermanns Garten im Material anlehnt (Fotos: Nicole Guether 2023).

Historische Kontextualisierung

Die einzelnen Lebensstationen werden so zwar bezeugt, aber allzu oft fällt die Einordnung in die Zeitgeschichte zu knapp und zu vereinfachend aus. Stellenweise begrenzt sich historische Kontextualisierung auf das Ausstellen von z. B. DDR-Überwachungsgadgets, auch ein Stasi-Akten-Monstrum stellt uns den ganzen exorbitanten Überwachungswahn zwar gut vor Augen. Aber etliche historische Daten finden keine Erwähnung, allemal was den Kontext BRD betrifft. KPD-Verbot, Radikalenerlass, APO, RAF, usw. usf. finden, wenn überhaupt, nur ungenügend Erwähnung.

Aber wie konnte denn ein eingefleischter Kommunist ausgerechnet in der Bundesrepublik zum Star avancieren, in der nach 1972 schon jegliche Sympathie für den Sozialismus zum Karriereaus (v.a. von angehenden Lehrer:innen) führte? Dass eben gerade nicht ein freieres Kunstverständnis im Westen Biermanns dortigen Erfolg ermöglicht hatte, sondern vielmehr dem Missverständnis vom antikommunistischen Systemkritiker geschuldet war. Denn wenn Biermann auch scharfe Systemkritik übte, so blieb er doch überzeugter Sozialist, der den Westen verabscheute. Aber auch sein oftmals verächtlich zur Schau gestelltes Unverständnis über seine sehr dienliche West-Berühmtheit wird lediglich auf die jammernd-motzige Position von damals reduziert, wonach Biermann „ausgerechnet seine für den Osten geschriebenen Lieder nur im Westen produzieren könne.“ Das ist nicht historische Reflexion. Der Geschichtlichkeit wegen, müssten solche Problematiken herausgestellt werden. Interessant wäre hier, die zeitspezifischen Merkwürdigkeiten deutlich herauszuarbeiten. Wir lesen ja keinen Roman, der über subtile Andeutungen arbeiten kann.

Die doch anfänglich beachtlichen Auftrittsmöglichkeiten, Biermanns Teilhabe an fünf Lyrik-Anthologien sowie seine vertragliche Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Kultur der DDR werden zwar vor dem Hintergrund von Chruschtschows Versprechungen eines kulturellen Aufbruchs an einer schmalen Wand dargelegt. Die eigentümliche Aufbruchstimmung in den zwei Jahren vor dem Auftrittsverbot 1965, der „kurze Sommer der DDR“ (Gunnar Decker), findet hingegen keine Aufarbeitung.

Und zumindest als nachlässig würde ich bezeichnen, dass die Ausstellung Biermanns damaliges Eintreten für den Mauerbau 1961 erst gar nicht erwähnt. Indem einzig sein Theaterstück „Berliner Brautgang“ – über eine Liebe im geteilten Berlin – für das von ihm gegründete b.a.t.-Theater gezeigt wird, erscheint Biermann gar als Gegner. Es ist ein zu glatt poliertes Bild. Aber Biermann war provokativ, bissig bis aus Blut, teilte aus, irrte aber auch und widersprach sich selbst. Das zu erzählen, sollte die Ausstellung sich trauen, will sie schließlich den ganzen Biermann zeigen.

Die Mutter wird zur Randfigur

Auf einen Punkt möchte ich daher noch zu sprechen kommen, der mir während meines Besuchs aufgefallen war und der sich bei meiner Recherche noch vertieft hat: die erstaunliche Marginalisierung der Mutter, Emma Biermann.

Dabei war sie es, die Biermann als Vater-Rächer zum Vorzeigekommunisten heranzog und ideologisch nährte, ihn allein großzog und allein in die DDR zur Internatsausbildung schickte, weil sie den „Systemkampf“ in Hamburg von den Funktionären zur Aufgabe bekam. Und trotz aller ideologischer Überzeugung, als ihr Sohn rausgeschmissen wurde, wagte sie ein Schreiben an die Verantwortlichen und stand unterstützend an seiner Seite.

Biermann mit seiner Mutter bei Köln-Konzert, 1976 (Foto: Nicole Guether 2023).

Ich will mir ausdrücklich kein (psychologisches) Urteil über Biermann erlauben, aber eines über die Ausstellungsmacher:innen, denn die folgen Biermann akkurat. Dieselben Stichpunkte, mit denen Emma Biermann in der Ausstellung bedacht wird, finden sich genauso auf seiner Homepage. Auch dadurch wirkt die Ausstellung zuweilen, als folge sie einer von Biermann verfassten Roadmap.

Die schnatternde Lyrik des deutschen Liedermachens

Für junge Ohren mag die Art des deutschen Sprechgesangs des vergangenen Jahrhunderts mit seinem schnatternden Stakkato, der krumpeligen Melodik, aber dem noch vorhandenen Wortwitz und geistvollen Ausdruck, befremdlich erscheinen. Tatsächlich ist Biermann ein Bindeglied zur Vorkriegstradition des politischen Liedes. Daher ist es gut, dass so viele seiner Lieder hörbar sind. Ich hatte jedenfalls Lust bekommen mich mit seiner Musik eingehend zu beschäftigen.

Fazit

Wolf Biermann ist zum Schlagwort geworden, hinter dem die Wahrnehmung des musikalischen Werks zurückbleibt. Die meisten kennen ihn eben wegen der Ausweisung. Von daher war die Idee, das Musikalische seines Lebens ins Zentrum zu rücken, ein interessanter Ansatz. Aber schon der Anfang gibt uns vor, dass es um den politischen Biermann gehen wird. Auch wenn die Musik räumlich im Zentrum steht, gelangen wir erst nach Abschreiten der Biografie zu ihr. Damit rückt wieder das Politikum in den Vordergrund. Obwohl beide Seiten des Biermann honoriert werden, ineinander verwoben dargestellt, kommt dem einen somit mehr Gewicht zu.

Die Exponate sind gut gewählt, präsentieren Biermann aber auch sehr einseitig und auf allzu sympathisierende Weise. Eine historische Ausstellung muss sich Misstöne und Widersprüche erlauben. Sie kann nicht einer lebenden Legende die Plattform für ihre eigene, verfrühte Apotheose bieten.

Und obwohl die zwei gesteckten Ziele nicht zufriedenstellend eingehalten werden, die Ausstellung macht Spaß, gerade im Hinblick auf das Entdecken seiner Musik. Man kann leicht etliche Stunden hier verbringen, sich einlesen, einhören und einsehen in die vielen Exponate, die Biermann bei seinen spottenden Auftritten zeigen, das komplette Köln-Konzert wird in einem gesonderten Raum vorgeführt. Wir bekommen Stasi-Protokolle zu lesen, die das Absurde des Überwachungsstaates belegen.

Und diesmal wurde im Pei-Bau sogar dafür Sorge getragen, dass angenehme Sitzecken und Rückzugsmöglichkeiten auch den Raum für diese Entdeckungen bieten. Grenzt die Architektur auch mehr an ein Kirchenschiff und seine Seitenkapellen, finde ich den Einfall mit der Gitarre wunderbar ob der Symbolik und der deutlichen Veränderung des Raumes.
Ich möchte daher doch zur gelungenen Ausstellung gratulieren, auch wenn das DHM bei ihrem altbewährten Vorgehen bleibt, Geschichte vorwiegend über ihre großen Männer zu erzählen. Nur, den Wunsch nach mehr Mut zu Darstellung von Ambiguität möchte ich ebenfalls aussprechen.

Deutsches Historisches Museum

„Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland“
7.7.2023-14.1.2024

Kuratierung: Monika Boll

Gestaltung: Vera Franke und Frank Steinert

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