Museo Archeologico Nazionale di Napoli (MANN) – von Nicole Guether

Eine der weltweit bedeutendsten archäologischen Sammlungen wird im einst prächtigen Renaissancepalast unweit von Neapels quirligem Citycenter beherbergt. In den riesigen Hallen des Palazzo werden Schätze aus römischer Zeit bewahrt, griechischer Kunst aus Sizilien sowie altägyptischer Zeit. Daneben befindet sich auch die reiche Sammlung der Farnese, einer der mächtigsten Familien, die die apenninische Halbinsel hervorbrachte, hinter den dicken Gemäuern. Nicht zu vergessen sind die Artefakte aus Pompeij und Herculaneum.

Ein kurzer Überblick: Das Museum

Mit seiner umfangreichen und einzigartigen archäologischen Sammlung ist das MANN eines der ältesten und bedeutendsten Museen der Welt. Es geht zurück auf Karl III., König von Spanien, aus dem Haus Bourbon, ab 1734 König von Neapel. Über seine Mutter, Elisabetta Farnese, gelangte er nach deren Tod in den Besitz der bedeutsamen Farnese-Sammlung, die zum Grundstock des Museums werden sollte. Daneben förderte Karl III. die ersten Ausgrabungen im 79 n. Chr. beim gewaltigen Ausbruch des Vesuvs verschütteten Pompeji und Herculaneum. Es war sein Sohn, Ferdinand IV., der den Renaissancebau von 1585 als Hort zur Aufbewahrung dieser Sammlungen wählte, der von 1616 bis 1777 die Universität von Neapel beherbergte. Die endgültige Begründung des Museums erfolgte letztlich im 19. Jahrhundert, zunächst als „Real Museo Borbonico“ während der Restauration der Bourbonen in Spanien im Nachgang der Napoleonischen Kriege, und schließlich als Nationalmuseum nach der Einigung Italiens 1860. Ehemals beherbergte das Museum auch Gemälde, die jedoch 1957 in das Museum Capodimonte im Norden Neapels verlagert wurden, um es als reines archäologisches Museum zu etablieren.

Sammlung Farnese

Die Farnesische Sammlung antiker Skulpturen belegt die ausgeprägte Antikenleidenschaft des 16. Jahrhundert. Ihr Ursprung geht auf Papst Paul III. zurück, Kunstliebhaber und Förderer von Künstlern wie Tizian. Seiner Herrschaft ist nicht nur der Machtgewinn der Farnese zu verdanken, sondern auch der Beginn einer über ein Jahrhundert anhaltenden Grabungspraxis zur Gewinnung antiker Skulpturen.  Die von Rom ausgehende und über mehrere Generationen anhaltende Sammlungstätigkeit verdankt ihren Bestand vor allem den Artefakten aus den römischen Caracalla-Thermen aus der Zeit Septimius Severus im 3. Jh. n. Chr. Als die Ostgoten Rom überrannten war es das langsame Aus der Therme, nichtsdestotrotz galten sie bis in die Renaissance als die am besten erhaltenen Badeanlagen, weshalb der Farnese-Papst die Skulpturen für seine Familie einfach abtragen konnte, um seine Palazzi sowie St. Peter auszustatten. So gelangten u.a. der Farnesische Stier und der Farnese-Herkules in die Sammlung. Kunstvolle Gemmen, Gemälde und Zeichnungen kamen mit dem Enkel des Papstes, Kardinal Alessandro Farnese, hinzu.

Die Farnese-Sammlung ist nun erstmals wiedervereint und mit Werken, die auf verschiedenen Residenzen in Rom verteilt waren, in ihrer Gesamtheit präsentiert. Auf diese Weise lassen sich die originalen thematischen und ideellen Zusammenhänge aufzeigen. Die Skulpturen aus den Caracalla-Thermen, dem Forum Romanum sowie auf dem Palatin (Horti Farnesi) werden in den großen Hallen jedoch ohne ein ersichtliches Konzept ausgestellt. Bedauerlicherweise merkt man der Präsentation an, dass sie etwas in die Jahre gekommen ist und eine Modernisierung somit angeraten. Hingegen bleibt interessant, wie immer mal wieder auf den veränderten Zeitgeschmack und kulturhistorischen Verständnis eingegangen wird, der Auswirkung auf die Restaurierungen hat. So belegen die gezeigten „della Porta-Beine“, benannt nach dem ersten Restaurator Guglielmo della Porta, des Farnesischen Herkules wie schnelllebig dies zuweilen vonstattengehen kann. Nach heutigen Maßstäben der Forschung völlig abwegig, erschienen die Ersatzstücke schon im 18. Jahrhundert als seien die „Muskeln, hart und trocken, dass sie nicht wie Fleisch wirken, sondern eher wie Stränge“. Goethe schrieb auf seiner Italienreise, dass es kaum vorstellbar sei, dass die Porta-Beine je für gut befunden wurden.

„Of Man and Giants: The Dreams of History of Elisabetta Farnese”

Derzeit werden die Farnesischen Antiken im Dialog mit Kohle- und Brandzeichnungen des Mailänder Künstlers Davide Cantoni ausgestellt. Als Ausgang für seine Arbeiten nahm Davide Cantoni die Erzählung L’étranger des französischen Existenzialisten Albert Camus. So zitiert Cantoni in seinen Bildern Nachrichtenbilder und zeigt uns die anonymen Gesichter von Flüchtlingen, oder den Tempel von Palmyra, der 2015 vom Terrorregime des „Islamischen Staats“ zerstört wurde. In der Gegenüberstellung der Bilder „heutiger Übel“ (Cultura Napoli) mit den Jahrhunderte alten und ebenso lang geschätzten Kunstartefakten wird die Frage gestellt, was wir bewahren, und was nicht. Aber auch die Frage danach, welchen Änderungen diese Wertschätzungen unterworfen sind. In Zeiten, wo sogenannte Klimaaktivisten Kunstwerke in Museen zerstörten, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen, aktueller denn je.

Verantwortlich für die Kuration dieser Sonderausstellung zeichnet der Neapolitanische Galerist Memmo Grilli von Blindarte. Grilli wählt in der Tat ganz erstaunliche Zusammenstellungen, wenn z.B. eine monumentale Idealisierung der Jugend mit Davides fragilen Kohlezeichnungen eines Polarbären und eines Rhinozeros jener Art, deren letztes männliches Exemplar 2018 ausgestorben ist. Hier werden Fragen aufgeworfen, die in einem Museum, das der Verwahrung kulturhistorischer Artefakte ganz neue Perspektiven eröffnet. Cantonis Technik des Brennens und eines zeichnerischen Einsatzes von Kohle auf zartestem Papier kontrastiert zu den marmornen Giganten, die allein schon aufgrund ihrer physischen Präsenz sowie kulturhistorischen Inzidenz einen unverkennbaren Gegensatz bilden. Gleichfalls vor dem Vergessen bewahren will Cantoni aktuelle Geschehen und erhebt dazu Tagesnews zu fragilen Kunstwerken.

Diese Sonderausstellung ist noch bis zum 16.12. zu sehen.

Mosaiken-Sammlung

Die meisten Gegenstände, die seit Beginn der Ausgrabungen aus Pompeij geborgen wurden, befinden sich im Neapolitanischen Archäologischen Museum. So auch die auf erstaunliche Weise konservierten Mosaiken und Einlegearbeiten, die im rechten Flügel des Zwischengeschosses präsentiert werden. Kaum zu glauben, dass diese antiken Bodenarbeiten die verheerende Naturkatastrophe überstanden und nach ihrem Fund für die Bourbonenpalaste wieder genutzt wurden. Aber schon damals hatte man die seltenen und viel geschätzten kleineren figurativen Mosaiken als Wandobjekte behandelt. So hängen sie auch heute an den Wänden wie Bilder in einer Galerie und vergegenwärtigen uns weniger ihre originale Funktion als ihren erstaunlichen bildnerischen Wert. Der Realismus dieser Jahrtausende alten Werke, die Farbigkeit und Originalität ihrer Motive ist bemerkenswert und zeigt auch heute noch eine der Antike, die wir doch noch immer hauptsächlich über ihre uns im reinen Weiß überlieferten Skulpturen und Ruinen kennen, unbekanntere Seite. Werke wie „Kampf zwischen Oktopus und Languste“ sollen nicht übersehen werden, wenn auch das noch bekanntere Mosaik mit der bekanntesten Darstellung Alexanders des Großen lockt. Dies war während meines Besuchs leider wegen Restaurierungsarbeiten nicht ausgestellt. Insgesamt wünschte ich mir jedoch auch hier eine Aktualisierung der Präsentation, die den einzelnen Werken mehr Platz einräumen würde.

Gabinetto Segreto – Das geheime Kabinett

Dass die vorchristliche Zeit allesandere als prüde war, ist kein Geheimnis und dennoch wird der Erotismus der Antike nur diskret zur Schau gestellt. Im hinteren Teil der Abteilung, wie als Triggerwarnung mit „Secret Cabinet“ überschrieben, finden sich die freizügigen, wollüstigen und bisweilen pornografischen Bilder. Allein für die privaten Bereiche der Wohnräume in Pompeij und Herculaneum geschaffen, zeigen diese zum Teil auch Fruchtbarkeitsriten zugehörigen Objekte, einen Aspekt antiker Kultur, der für alle Epochen seither auch mit Scham verbunden bleibt. Wurde die Antike zur Zeit ihrer größten Verehrung als moralisches Idealmodell gepriesen, zeigt sich mit diesen expliziten Darstellungen von kopulierenden Paaren (nicht immer zwei Menschen!) ein gänzlich anderes Bild. Auch in der Geschichte ihrer modernen Präsentation ist ein moralisch schwieriges Verhältnis mit diesen Bildern belegt und so wurde das „geheime Kabinett“ immer mal wieder zensiert und der Öffentlichkeit vorenthalten. Zuletzt um 2000 neu arrangiert, ist es nunmehr unbeschränkt zugänglich. Doch auch hier wäre es an der Zeit für eine zeitgemäßere Präsentation, die weniger einen Fokus auf das Moralische legt.

Weiter geht es hinauf in die zweite Etage, in der es von der gigantischen „Großen Halle der Sonnenuhr“ (auch Meridian Halle) u.a. in die Fresken-Abteilung, zu den Artefakten des häuslichen Lebens in Pompeij – Türschlösser, medizinisches Gerät, und vieles erstaunliches mehr, zu Stadtmodellen Pompeijs sowie den Funden des zuerst ausgegrabenen Tempels, den zu Ehren der ägyptischen Gottheit Isis, geht. Leider war der Großteil der Halle, ein Raum mit prächtigen Deckenfresken aus dem 18. Jahrhundert und im Boden eingelassener, namensgebender Sonnenuhr, während meines Besuchs mit leeren Vitrinen verstellt, worunter das Raumgefühl erheblich litt.

Foto: Nicole Guether 2022

Pompeij ist nicht weitBeschriftungen an den Wänden markieren die verschiedenen Häuser aus denen die Exponate stammen ohne über Abgrenzungen den vergleichenden Blick zu stören, aber leider auch ohne konkrete räumliche Vorstellungen zu bedienen. Zwar dienen einige Säle der „Rekonstruktion“ vollständiger Komplexe, u.a. der Herculanischen Villa dei Papyri, aus der eine Reihe außergewöhnlich gut erhaltener Bronzeplastiken stammen. Auch die Funde aus dem Isis-Tempel in Pompeji werden in einem eigens gewidmeten Raum präsentiert, der jedoch eher einer Durchgangssituation gleicht. An Orten wie diesen zeigt sich, wo es schmerzlich an einer Modernisierung mangelt. Man stelle sich nur vor, das Museum würde auf eine tatsächlich auf Rekonstruktion zielenden Präsentation setzen, wie es z.B. das Berliner Pergamonmuseum umsetzt.Der Raum „Casa die Giasone“ (Haus des Jason) zeigte leider hauptsächlich fotografische Repliken, wenn auch täuschend echt, da viele Fresken in andere Museen entliehen wurden. Ich zählte um die fünf Fremd-Ausstellungen, in die Werke aus dem Archäologischen Museum aktuell gewandert sind. Ein Fakt, den man heutzutage seltener begegnet, lugen viele Museen ängstlich darauf ihre Schätze nicht in andere Hände zugeben. Jedenfalls sind pompejische Funde derzeit u.a. in der Bolognesischen Ausstellung „I pittori di Pompei“ zu sehen, sowie in der Ausstellung „Splendour and Death under the Volcanoe“, die erst kürzlich vom Liechtensteinischen Vaduz nach Kalkstein gezogen ist. Auch in Hamburg sind derzeit so Neapolitanische Antiken zu bestaunen.Zum Abschluss meiner Tour wählte ich den Saal mit zwei Stadtmodellen des untergegangenen Pompeijs. In einem kurzen animierten Film wird die historische Situation anschaulich präsentiert – bis zum Explodieren des Vulkans, der nur 22 km von Neapel entfernt liegt.

Foto: Nicole Guether 2022

Fazit

Wie üblich in archäologischen Museen gibt es unermesslich viel zu sehen, von daher sollte man mit viel Zeit kommen, oder sich zuvor bereits Gedanken machen, welchen Bereichen man besondere Aufmerksamkeit schenken möchte.

Die Präsentation ist großzügig, wenn auch bedauernswerter Weise in manchen Bereichen etwas heruntergekommen. Derzeitige Bauarbeiten sind daher zu beglückwünschen, wobei sie auch vielfältig störend waren. Das Personal jedoch ist freundlich und jederzeit zu Auskünften bereit. Ein Audioguide ist zu empfehlen, da er den Objekt- und vielzähligen, gut einführenden Saaltexten (auf Italienische und Englisch) wertvolle Informationen hinzufügt. Wer plant Pompeij zu besuchen, ist definitiv gut beraten auch einen Abstecher in das Archäologische Museum zu unternehmen. Neben den farbenprächtigen Fresken, erstaunlichen Mosaiken, Bronzen usw. geben die kleinen, unscheinbaren Exponate des alltäglichen Lebens beachtenswerte Auskunft über das Leben dieser untergegangenen Welt. Wie Goethe schrieb: „Jene kleinen Häuser und Zimmer in Pompeji erschienen mir nun zugleich enger und weiter; enger, weil ich sie mir von so viel würdigen Gegenständen vollgedrängt dachte […].“

Piazza Museo 19, Metro Museo, oder über die Via Toledo gut zu Fuß erreichbar, gleichzeitig schreitet man schon ein paar andere Attraktionen ab!

Museo Archeologico Nazionale di Napoli (MANN)

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