Moses Mendelssohn „Wir träumten von nichts als Aufklärung“ (Jüdisches Museum Berlin) – von Esther Kaack

Von der Aufklärung bis in die Gegenwart wirft sein Schaffen Fragen auf, die an Aktualität nicht verloren haben. Moses Mendelssohn kann man in der neuen Wechselausstellung des Jüdischen Museums Berlin als vielseitigen Charakter, großen Geist und prägendes Mitglied der jüdischen Gemeinde kennenlernen.

Geleitet von Fragen

Bereits im Treppenaufgang zur Ausstellung findet man die Fragen, die sich für die Ausstellungsmacher:innen aus Mendelssohns Leben und Ideen ergeben, einen ersten Einblick in die Ausstellungskataloge bieten und gleichzeitig überraschend aktuell sind. Im Laufe des Rundgangs begegnet man ihnen erneut innerhalb der unterschiedlichen Themenabschnitte, während ihre Beantwortung jedoch stets den Besucher:innen obliegt.

Foto: Esther Kaack 2022

Der Stil der Raumtexte fällt von Beginn an als außergewöhnlich auf. Statt wissenschaftlich hochtrabend oder monoton objektiv geschrieben zu sein, bedient er sich in kurzen Sätzen alltäglichen Ausdrücken und ist dadurch angenehm, sowie unterhaltsam zu lesen und verständlich für Menschen mit unterschiedlichem Bildungshintergrund. Eine erfrischende Abwechslung, die Gedankenbilder entstehen lässt, statt trocken zu informieren. Jeder Raumtext wird von einer Frage begleitet, die sich aus dem Inhalt des Textes ergibt und die in ihren Themen um Einwanderung, Meinungsdiversität und Co. aktuelle Bezüge herstellt. Während die Raumtexte knapp gehalten sind, bieten Audio-Stationen vertiefende Informationen, bspielsweise zu Mendelssohns Ankunft in Berlin. Einzelne Objekttexte, die spezifische Phänomene des Lebens des Aufklärers und seiner Zeit anhand der Exponate aufgreifen, ergänzen dieses durchgängige Konzept. Damit erhalten Besucher:innen mehrere Vertiefungsebenen, die frei gewählt werden können und keinem Lesezwang obliegen.

Foto: Esther Kaack 2022

Mendelssohn als Gestalter eines neuen Zeitgeists


Inhaltlich wird im ersten Raum nicht nur die Geschichte von Mendelssohns Weg nach und Leben in Berlin erzählt, sondern auch ein Stück der Stadtgeschichte im 18. Jahrhundert. Historische Karten, Zeichnungen und Malereien zeigen Aufenthalts- und Wirkorte des Aufklärers und lassen die Besucher:innen gleichzeitig in die frühneuzeitliche Stadt eintauchen. Der religiöse Bezug wird unterstützend durch die Objekte aufrechterhalten. Dabei wird Mendelssohn weniger als Jude in Berlin beschrieben, sondern als Gelehrter, der selbstbestimmt seinen Weg in der Stadt findet, wenngleich unter den Hindernissen und Einschränkungen, die ihm aufgrund seiner Konfession gestellt werden. Zwar steht er innerhalb der Ausstellung stets im Kontext seiner Zeit, Weggenossen und Umstände, ist jedoch zweifellos Dreh- und Angelpunkt der Erzählung.
Schon ab dem dritten Raum hat sich Moses Mendelssohn als Gelehrter und Vordenker mit herausragenden Persönlichkeiten in seinem Freundeskreis etabliert. Mit seiner Thora-Übersetzung wird Mendelssohns maßgebliche Rolle in der jüdischen Aufklärung herausgestellt und anhand einer statistischen Europakarte, die die Vorbestellungen der Übersetzung zeigt, untermauert. Der Konflikt zwischen den Aufklärern und ihren Ansichten wird vereinfacht skizziert. Die Objekte dazu sind leider wenig aussagekräftig, da es sich primär um Bücher der Beteiligten und kleine Radierungen einzelner Ereignisse handelt. Trotz ihres angenehmen Ensembles laden sie nicht zu längerem Verweilen davor ein. 

Besucher:innenfreundliche und niedrigschwellige Vermittlung

Anders gestaltet sich dies bei einem Ölgemälde, das den Konflikt zwischen Moses Mendelssohn und seinem Freund Gotthold Ephraim Lessing mit Johann Caspar Lavater um die Konfession Mendelssohns zeigt. Die Ausstellung greift den Konflikt in diesem Raum auf und bietet eine kunsthistorische Analyse und Interpretation zu dem Ölgemälde. Dabei werden die dargestellten vier  Personen erläutert – zu den drei bereits genannten kommt die Ehefrau des Aufklärers Fromet Mendelssohn, Tochter eines wohlhabenden Hamburger Kaufmanns. Ihre Haltung, Kleidung und die Gegenstände, die sie bei sich haben, finden Beachtung und begründen und Schlüsse auf die Bildaussagen. Ein besonders schönes Element der Ausstellung, das die Besucher*innen motiviert, sich den Bildern genauer anzunehmen! Dabei wird keine kunsthistorische Expertise vorausgesetzt, sondern auf nahbare Art gezeigt, welche Aussagen Gemälde darstellen können und wie sie jede:r Betrachter:in selbst ermitteln kann.

Foto: Esther Kaack 2022

Im Laufe des Ausstellungsrundgangs fällt auf, dass die Raumtexte keine Jahreszahlen nennen. Die Ausstellungsmacher:innen dürften sich bewusst gegen den gängigen Stil von Ausstellungtexten mit historischem Bezug entschieden haben, womöglich um mit den Texten nahbarere, assoziativere Bilder zu wecken, die nicht dem Schulbuchtypus entsprechen. Das ist ihnen gelungen, zumal Jahreszahlen selten zu jenen Inhalten gehören, die nach dem Ausstellungsbesuch präsent bleiben.

Die auf Wandfahnen gedruckten Zitate Mendelsohns im vierten Raum (Menschenrechte mit Fokus auf Rechte der Jüdinnen:Juden) lassen sich leider aufgrund des geringen farblichen Kontrasts (weiße Schrift auf hellgrünem Untergrund) nur schwierig und unangenehm lesen sind. Dafür bietet der Raumtext in Kombination mit zwei Audiostationen die elementaren Informationen. Den Ausstellungsmacher:innen gelingt hierbei das äußerst angenehme Maß zwischen zu vielen und zu wenigen Informationen. Die Vertiefungsebenen der Audiostationen nutzt man gerne, der grundsätzliche Plot des Raums erschließt sich aber auch ohne sie. Obwohl auch hier die Objekte (weiterhin primär Bücher und Radierungen) nicht herausstechen, können sie ebenfalls dabei unterstützen. Die fehlende Anziehungskraft der Objekte zieht sich zwar durch den Großteil der Ausstellung, sie werden jedoch in ihren Objekttexten hervorragend kontextualisiert und ihr Zusammenhang mit dem Thema des Raums stets deutlich. Auch die Objekttexte sind angenehm geschrieben, vermeiden wissenschaftliches Vokabular, erklären nicht gängige Worte und sind damit für unterschiedliche Besucher:innengruppen ohne Vorwissen erschließbar.

Foto: Esther Kaack 2022

Der Geist, sein Nachwirken und seine Rezeption

Inhaltlich finden sich in der gesamten Ausstellung keine kritischen Worte an Mendelssohn. Das Narrativ eines geistreichten, fortschrittlichen, beliebten Mannes, der sich seinen Erfolg eigens mit Geschick erarbeitet hat, ist stringent. Schwierigkeiten ergeben sich für ihn aus den Diskriminierungen und Vorschriften gegen Jüdinnen:Juden seiner Zeit und bedingt aus körperlichen Beeinträchtigungen. Während sich ein Raum diesen physischen Schwächen – er ist oft krank, schüchtern, stottert und hat einen Buckel – widmet, wird der Fokus gleichzeitig auf den Gegensatz seines gehandicapten Körpers und seines wachen Geistes gelegt. Fragen, die Mendelssohn sich dazu in seiner Lebenszeit gestellt hat, werden erneut aufgegriffen.

Der Ausstellungsrundgang reiht die Räume thematisch chronologisch aneinander. Sie sind farblich angenehm in Pastell aufeinander abgestimmt, visualisieren jedoch gleichzeitig die thematischen Wechsel. Einen Bruch stellt ein Raum dar, in dem zwei Filme gezeigt werden. Es handelt sich um Dokumentarfilme von 1981 und 1990 zu Moses Mendelssohn und zur Rolle der Juden in Preußen. Sie weisen hin auf das Nachwirken der Mendelsohnschen Errungenschaften, seine zeitübergreifende Relevanz und die Konflikte, in denen er sich seinerzeit als Jude befand. Eine kleine, aber hilfreiche Besonderheit ist in den Videos eine Zeitangabe, über die sich ablesen lässt, wie lange der Film bereits läuft und laufen wird. Das zeigt auch, in welcher Phase des Films man sich befindet, wenn man den Filmraum betritt. Leider kann man den Lauf des Films trotzdem nicht beeinflussen und muss eben warten, wenn man ihn von Anfang an sehen will. Die Besucher:innenfreundlichkeit des Mediums wurde damit verbessert, doch bleibt ausbaufähig. An dieser Stelle ist außerdem ein illustriertes Buch zu Mendelssohn und der Ausstellungskatalog zur Ansicht zu finden. 

Während sich alle vorherigen Räume mit dem Lebensweg, den Ideen und dem Kampf um Gleichberechtigung Mendelssohns beschäftigten, wird der letzte Ausstellungsraum außergewöhnlich materialistisch. Die hier ausgestellten Objekte werden zum ersten Mal zum Schwerpunkt der Ausstellung[HB1] . Zum einen wird mit dem Judenporzellan eine Geschichte absurder Diskriminierung jüdischer Menschen in Preußen erzählt. Wollten diese ein Haus kaufen, heiraten oder andere staatliche Genehmigungen erhalten, mussten sie nach preußischem Recht als Händler von Produkten der staatlichen Porzellanmanufaktur aktiv werden bzw. diese erwerben. Der Wert des zu erwerbenden Porzellans entsprach damals dem Jahreseinkommen einer Familie. Teile des Porzellans befinden sich heute noch im Nachlass Mendelssohns. Die Absurdität dieser Praktik wird mit der Präsentation eines Porzellanaffens, den kaum ein:e Besucher:in freiwillig kaufen würde, verdeutlicht.

Während sich alle vorherigen Räume mit dem Lebensweg, den Ideen und dem Kampf um Gleichberechtigung Mendelssohns beschäftigten, wird der letzte Ausstellungsraum außergewöhnlich materialistisch. Die hier ausgestellten Objekte werden zum ersten Mal zum Schwerpunkt der Ausstellung. Zum einen wird mit dem Judenporzellan eine Geschichte absurder Diskriminierung jüdischer Menschen in Preußen erzählt. Wollten diese ein Haus kaufen, heiraten oder andere staatliche Genehmigungen erhalten, mussten sie nach preußischem Recht als Händler von Produkten der staatlichen Porzellanmanufaktur aktiv werden bzw. diese erwerben. Der Wert des zu erwerbenden Porzellans entsprach damals dem Jahreseinkommen einer Familie. Teile des Porzellans befinden sich heute noch im Nachlass Mendelssohns. Die Absurdität dieser Praktik wird mit der Präsentation eines Porzellanaffens, den kaum ein:e Besucher:in freiwillig kaufen würde, verdeutlicht.

Foto: Esther Kaack 2022

Der Raum widmet sich zudem der visuellen Rezeption Mendelssohns und klärt über die Produktion von Portraits und deren Verbreitung zu seinen Lebzeiten auf. Hier finden sich Informationen über die neue Nachfrage nach Portraits der zeitgenössischen Denker sowie die unterschiedlichen Darstellungen, die von Künstler und Auftraggeber ausgehen und dessen Rezeption prägen. Mehrere Portraits Mendelssohns veranschaulichen den Wandel. Auf der Meta-Ebene wird dabei die Vielseitigkeit des Aufklärers, seines Wirkens und seiner Interpretationen zum Abschluss der Ausstellung vermittelt.

Foto: Esther Kaack 2022

Die Präsentation seiner Vielseitigkeit setzt sich fort im Abschluss der Ausstellung, der sein Nachwirken und diverse Meinungen zu ihm zeigt. Dem chronologischen Rundgang entsprechend geht es um die Erinnerung an Mendelssohn nach seinem Ableben eingegangen. Zitate bekannter Persönlichkeiten stellen erneut die Überzeitlichkeit seines Schaffens heraus.

Das Jüdische Museum Berlin hat mit „Moses Mendelsohn – Wir träumten von nichts als Aufklärung“ eine nahbare Ausstellung geschaffen, die sich auch ohne thematisches Vorwissen genießen lässt. Darin finden sich Elemente, die Besucher:innen vielseitig ansprechen, ihnen den geistigen Zugang erleichtern und Mendelssohns Thesen in der Gegenwart relevant werden lassen. Was den gezeigten Objekten an Anziehungskraft und Ausstrahlung mangelt, wird durch die kreativen Raumtexte kompensiert.

Jüdisches Museum Berlin – 14.4.2022 bis 11.9.2022

Kuratierung: Inka Bertz und Thomas Lackmann

Gestaltung: Jelena Stefanović, Studio OTW, Amsterdam

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